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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Detel
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formuliert.
    (c) Die Beziehung von F-Dingen zur Form F wird nur metaphorisch als Teilhabe beschrieben, bleibt jedoch letztlich im Dunkeln, obgleich sie metaphysisch und ontologisch zentral ist.
    Aristoteles scheint Platons Position allerdings oft erheblich zu simplifizieren und auf dieser Grundlage zuweilen überspitzt zu kritisieren. Dieser Umstand provoziert natürlich die Frage, wieso Platons Meisterschüler, der die platonische Philosophie so gut kannte wie kaum ein anderer unter Platons Zeitgenossen, sich zu diesen Vereinfachungen und Überspitzungen [63] hinreißen lassen konnte. Eine Erklärung zeichnet sich ab, wenn wir bedenken, dass der junge Aristoteles drei verschiedene Argumentationslinien verfolgte: nicht nur eine Verteidigung der akademischen Position nach außen und eine Platon-Kritik nach innen, sondern auch die Entwicklung eines eigenen philosophischen Ansatzes, der bereits in seiner frühen Schrift
Kategorien
deutlich wird und weitreichende historische Folgen haben sollte: Es handelt sich um nichts weniger als die Entwicklung der Grundzüge einer essenzialistischen Metaphysik. Diese Innovation knüpft direkt an die oben skizzierten Vorbehalte gegenüber Platons Formenlehre an und versucht einen metaphysischen Ansatz zu entwerfen, der jener Kritik nicht ausgesetzt ist (Cat. 2, 4, 5).
    Eine der Kernideen des jungen Aristoteles ist, dass Sätze der Form »x ist ein y« Prädikationen sind, in denen das y dem x zugesprochen wird, dass es aber viele verschiedene Arten solcher Prädikationen gibt, die wir sorgfältig unterscheiden sollten. Die Arten von Prädikationen nennt Aristoteles
Kategorien
, und von ihnen handelt seine früheste erhaltene Schrift. Wenn wir beispielsweise sagen, dass Sokrates geschlagen wird, sprechen wir ihm ein Erleiden zu; wenn wir sagen, dass er betrunken ist, prädizieren wir eine Qualität von ihm; und wenn wir sagen, er sei im Lyceum, sprechen wir ihm einen Aufenthaltsort zu. Qualität, Erleiden, Ort, oder auch Zeit und aktives Handeln sind unterschiedliche Arten von Prädikationen, also unterschiedliche Kategorien. Aber wenn wir Prädikationen in einer der Kategorien verwenden, sprechen wir zugleich offenbar stets von einem Ding x, dem wir etwas zusprechen – etwa von Sokrates. Eine der metaphysischen Kernthesen, die Aristoteles hier aufstellt, besagt, dass das letzte Ding, dem wir etwas zusprechen, stets ein individuelles Ding wie Sokrates oder ein bestimmtes Haus ist. Wir können natürlich auch über andere Arten von Dingen etwas prädizieren, etwa wenn wir sagen, dass Rot eine Farbe oder das Kaninchen ein Lebewesen ist. Doch wenn wir das tun, wird es stets ein individuelles Ding geben, dem wir dasjenige zusprechen können, über das wir [64] zuvor etwas anderes prädiziert hatten – etwa diese Farbe meines Pullovers, die ich rot nennen kann, oder mein liebstes Haustier, das ich als Kaninchen bezeichnen kann.
    Aus diesen linguistischen Fakten zieht Aristoteles metaphysische Konsequenzen, denn er hält Sprachen für Pakete von Theorien über die Welt, und begriffliche Unterscheidungen stellen bewährte (wenn auch fallible, d.h. dem Irrtum unterworfene) Vorschläge für die Klassifikation von Fakten dar, die wir in der Philosophie und Wissenschaft ernst nehmen müssen. Aristoteles hielt es daher für vertretbar, aus verbreiteten, bewährten und offenbar alternativlosen linguistischen Praktiken konkrete ontologische Folgerungen zu ziehen, die ihrerseits primär ein bestimmtes Verständnis der externen Welt darstellen.
    Eine dieser Folgerungen aus der Kategorienlehre ist, dass wir in unseren prädikativen Praktiken Ausdrücke für individuelle Dinge niemals anderen Arten von Dingen zusprechen, sondern dass wir vielmehr, wie bereits angedeutet, Ausdrücke für andere Arten von Dingen letztlich immer individuellen Dingen zusprechen. Dies bedeutet, dass wir in unseren prädikativen Praktiken die individuellen Dinge als ontologisch autonom behandeln, also als Dinge, deren Existenz nicht von der Existenz anderer Arten von Dingen abhängt, während die Existenz anderer Arten von Dingen, z. B. Qualitäten, Ortsbestimmungen oder Formen des Erleidens, von der Existenz der individuellen Dinge abhängt.
    Für Aristoteles ist dies ein exzellenter Grund für die zweite zentrale These, die er in der Kategorienschrift aufstellt – dass nämlich die individuellen Dinge die ontologisch primären Dinge (der Bereich der
Usia
oder »Substanz«) unserer Welt sind. 20 Unsere bewährte

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