Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)
expliziert, die Alexander von Aphrodisias im 2. Jahrhundert n. Chr. in seinem Kommentar zum ersten Buch der aristotelischen Metaphysik noch vor sich hatte. Danach hat das Argument vom «dritten Menschen» mehrere, insbesondere zwei Varianten: 1. Neben dem Einzelmenschen und der Idee des Menschen muss es ein Drittes geben, einen alle Menschen umfassenden Allgemeinbegriff vom Menschen. 2. Der Mensch geht spazieren. Es geht aber nicht die Idee des Menschen spazieren, weil sie unwandelbar ist und auch nicht gerade ein Einzelmensch, weil wir dies nicht wissen. Der Einzelmensch ist von Fall zu Fall jeweils ein anderer. Das Wort «Mensch» bezieht sich sowohl auf den Einzelmenschen wie auf die Idee. Beides erfordert ein übergeordnetes Drittes, den «dritten Menschen», und dann wieder ein Viertes usw., so dass ein Regressus ad infinitum entsteht. Diese Variante wird auf den Sophisten Polyxenos (Schwager von Dionys II.) zurückgeführt.[ 11 ] Bei allen Varianten bedeutet das Argument vom «dritten Menschen» nicht eine positive Lehre, sondern eine absurde Konsequenz, die sich aus der Ideenlehre ergeben würde, also um ein Argument gegen die Ideenlehre. Platon kannte übrigens das Argument und diskutiert es im Parmenides (132 A) unter den Einwänden gegen eine für sich bestehende Begrifflichkeit. Im Ganzen sieht man, dass die Kritik der platonischen Lehre im ersten Buch der Metaphysik nicht nur aus den Diskussionen der Akademie erwächst, sondern auch in sie hineingesprochen ist, denn eine bloße Andeutung auf den «dritten Menschen» sollte ja sofort verstanden werden, auch wenn Aristoteles dies wohl mündlich näher ausgeführt haben wird. Insgesamt will Aristoteles zeigen, dass die Annahme von Ideen im Sinne Platons und seiner Anhänger zu Widersprüchen führt.
Gesetzt aber, es gäbe derartige Ideen, so argumentiert Aristoteles weiter, dann könnten sie nicht Ursache für Bewegung und Veränderung sein. Sie könnten auch nicht übersinnlich abgetrennte «Vorbilder» (Paradeigmata) für die einzelnen Dinge sein. Dann müsste der Mensch gleich durch drei Ideen bestimmt sein, durch den «Menschen an sich», durch die Idee «Lebewesen» und durch die Idee des «Zweifüßlers».
Im zweiten Teil der Kritik der platonischen Lehre setzt sich Aristoteles ausführlich mit der komplizierten Zahlen-Prinzipienlehre Platons auseinander. Sein Einwand lautet: Ideen können keine Zahlen sein, entstehe doch aus mehreren Zahlen eine Zahl, aber nicht aus mehreren Ideen eine Idee. Erst recht lehnt Aristoteles die Lehre Platons von den Ideenzahlen ab, die die Dimensionenfolge Punkt – Linie – Fläche – Raum als Prinzipien auch der Ideen begründen sollten. Hier werde Philosophie durch Mathematik ersetzt. Um die Substanzen der sichtbaren Dinge würden nur leere Worte gemacht.
In einer Schlussbemerkung urteilt Aristoteles ziemlich scharf, wenn er «die erste Philosophie» (hier zeitlich verstanden) in ihrer Anfangsphase ein «lallendes Gestammel» nennt, da sie die vier Ursachen nicht klar erfasst habe. Überhaupt sei es unmöglich, bei der Erforschung der Elemente des Seienden zu einem Ergebnis zu gelangen, wenn man nicht beachtet, dass «das Seiende in vielfacher Weise ausgesagt wird» (Met. I 9, 992 b 19). Damit ist das Grundprinzip der aristotelischen Ersten Philosophie genannt, das in den folgenden Büchern der Metaphysik eine zentrale Rolle spielen wird.
D IE W ISSENSCHAFT VOM S EIN
( METAPHYSIK IV–VI)
Es gibt eine Wissenschaft, die das Seiende, insofern es seiend ist, untersucht und was diesem (dem Seienden als Seienden) an sich zukommt. Diese Wissenschaft ist mit keiner der Einzelwissenschaften identisch. Denn keine andere Wissenschaft hat das Seiende als solches zum Gegenstand der Untersuchung. Vielmehr schneiden sie einen Teil davon (von der Seinswissenschaft) heraus und untersuchen, was sich für diesen Teil dann ergibt, so z.B. die mathematischen Wissenschaften (Met. IV 1, 1003 a 21–26).
Mit Emphase betont Aristoteles, dass es eine Wissenschaft vom Sein als solchem überhaupt gibt, offenbar gegen alles Relative in der Sophistik, gegen mythische Vorstellungen eines Weltschöpfers (Demiurgen), gegen die Vermischung der einzelnen Wissenschaften, auch der Mathematik, mit der Wissenschaft vom Sein. Die Wissenschaft von den Gründen und Prinzipien des Seins ist allen anderen Wissenschaften vorgeordnet. Ihr Objekt ist ein doppeltes. Sie untersucht einerseits im Sinne einer universalen Ontologie die allgemeinsten
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