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Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmut Flashar
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Person («sie sagen») verwendet haben, so gibt es überhaupt keine Schwierigkeit des Verständnisses. Nur müsste dann angenommen werden, dass jemand noch vor 200 an all diesen Stellen die dritte in die erste Person verwandelt hat, wohl in der Absicht, Aristoteles möglichst eng der Lehre Platons anzunähern. Diese Änderung wäre dann in den Überlieferungsstrang a eingedrungen.
    Hat Aristoteles selber in A 9 die erste Person benutzt, so gibt es mehrere Möglichkeiten der Deutung. Werner Jaeger hat seine Konzeption von der Entwicklung des Aristoteles an diesem Befund festgemacht. «Wir» sage Aristoteles im A 9, weil er selber die Ideenlehre vertreten hat, von der er sich dann gelöst hat, um später (in M 4–5) in größerer Distanz von den Vertretern der Ideenlehre in der dritten Person zu reden. Werner Jaeger denkt sich den Text des ersten Buches der Metaphysik vorgetragen in Assos, kurz nach dem Tode Platons als Ausdruck der Aporie, vor der Aristoteles jetzt gestanden habe. Aber vor wem? Vor Hermias, dem Platonfreund, vor Speusipp und Xenokrates, die längst eigene Wege gegangen sind? Das ist alles ganz unwahrscheinlich und wird auch heute so von niemandem mehr vertreten. Andere sehen in dem «Wir-Stil» lediglich die äußere Bekundung der institutionellen Schulzugehörigkeit zur platonischen Akademie, die später nicht mehr gegeben war, als Aristoteles das 13. Buch (M) der Metaphysik vor vermutlich einem ganz anderen Publikum vortrug. Etwas anders ist die Auffassung, Aristoteles habe im ersten Buch der Metaphysik als Einführung in eine «erste Philosophie» die Lehre Platons zunächst lediglich präsentieren (und dann auch kritisieren) wollen. Er habe vor einer der Akademie verbundenen Hörerschaft identitätsstiftend die erste Person benutzt, um seine Hörer Schritt für Schritt für sich zu gewinnen und um dann, nach der Errichtung einer alternativen Ontologie in M 4–5, zur Verwendung der dritten Person übergehen zu können.[ 10 ] Dann wäre das «Wir» in A 9 kein nur auf Aristoteles bezogener ‹Pluralis maiestatis› («Wir» als «Ich»), sondern ein integratives «Wir», das die Hörer einschließt. Damit kommt ein persuasiv-rhetorisches Moment ins Spiel. Aristoteles wollte die Hörer in der Akademie, vor denen er sprach und die die einzelnen Ideenbeweise natürlich kannten, in den Übergang zur Kritik mitnehmen. Nur so ließe sich die Schwierigkeit lösen, die bei einem ersten Lesen des Textes darin besteht, dass Aristoteles gleichzeitig die Ideenlehre vertreten und bekämpfen soll. Er solidarisiert sich mit seinen Hörern.
    Wichtiger vielleicht ist etwas Anderes. Wenn Aristoteles die Kritik an der platonischen Lehre, wie er sie im ersten Buch der Metaphysik vorgetragen hat, im 13. Buch weitgehend wörtlich wiederholt, bedeutet das umgekehrt, dass ihm (als er vielleicht noch «wir» über die Platoniker sagen konnte) die Kritik in allen Einzelheiten schon feststand. Jedenfalls ist sie aus den in der Akademie geführten Diskussionen erwachsen. Dafür spricht auch die abkürzende Art des Zitierens von Argumenten, die in der Akademie bekannt waren, wie z.B. «das Argument aus den Wissenschaften» (990 b 12) oder «den dritten Menschen» (990 b 17), ohne dass mitgeteilt würde, worum es sich dabei näherhin handelt.
    Wir können hier die komplizierte Argumentation nicht in allen Einzelheiten vorführen, sondern heben nur die Grundlinie hervor. Aristoteles kritisiert zunächst, dass die Annahme von Ideen eine unnötige Verdoppelung der Welt bedeuten würde, wenn es von jedem Einzelding eine gleichnamige Idee gäbe. Wenn es Ideen von allem gäbe, was Gegenstand einer Wissenschaft ist, dann müsste es auch Ideen von Relationen, von Negationen und von Vergangenem geben. Es ergäben sich so Ideen von Dingen, von denen die Platoniker (Aristoteles spricht hier meist im Plural) gar keine Ideen angenommen haben. Die Annahme derartiger Ideen führe aber zu Widersprüchen und Inkonsequenzen. Das Relative z.B. bedarf eines Bezugsobjektes und damit einer Substanz als Existenzgrundlage, von der allein es eine «Idee» geben könnte. Ganz unverständlich ist die stichwortartige Bemerkung: «Einige führen den dritten Menschen an» (I 9, 990 b 16). Gemeint ist damit ein in der Akademie in verschiedenen Varianten diskutiertes, von Aristoteles auch sonst (Met. VII 13, 1039 a 2; XI 1, 1059 b 8; Top. IX 178 b 36) erwähntes Argument. Aristoteles hat dieses Argument in seiner verlorenen Schrift Über die Ideen

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