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Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmut Flashar
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Die ganze Darstellung hat man angesichts der trümmerhaften Überlieferung der Texte der sogenannten Vorsokratiker als Informationsquelle im Sinne einer Philosophiegeschichte verstanden. Das aber ist nur eingeschränkt möglich, weil Aristoteles anders gruppiert und argumentiert als in einer historisch orientierten Darstellung zu erwarten. Denn er hält sich an die vorangegangene Analyse der vier Ursachen und hebt eingangs hervor, dass von den «ersten Philosophen» die meisten nur die stoffartigen Ursachen als Prinzipien aller Dinge angesehen haben. Also werden diese «ersten Philosophen» danach befragt, ob sie eine oder mehrere Stoffursachen angenommen haben.
    Gewichtig ist der Beginn mit Thales und seiner Lehre vom Wasser als Grundelement, zu der er durch Beobachtung gelangt sei, nicht durch poetische Spekulation wie die «ganz Alten» (Met. I 3, 983 b 27), die «den Okeanos und Tethys zu Vätern der Entstehung» ( Ilias XIV 201) machten. Dieser merkwürdige Rückgriff auf «diejenigen, die sich mit göttlichen Dingen beschäftigten», der die Argumentation exkursartig durchbricht, verrät die Quelle des Aristoteles. Es ist eine Schrift des Sophisten Hippias, der im Gefolge Heraklits nachweisen wollte, dass «alles fließt» – so eben auch das Wasser –, und möglichst vielen Autoritäten dieses Dogma aufzubürden suchte.[ 4 ] Andere Vertreter des 6. und 5. Jahrhunderts von stoffartigen Prinzipien werden genannt (Anaximenes, Diogenes, Hippasos, Empedokles, auffallend kurz Parmenides), nicht Anaximander, dessen (angebliche) Lehre vom «Unbegrenzten»Apeiron), wie Aristoteles sie verstand, auch nicht in diese Reihe passt, und schließlich wird Anaxagoras (ca. 500–428) wegen seiner Lehre vom GeistNus) als Ursache von aller Schönheit und Ordnung im Lebewesen wie in der Natur als «Nüchterner neben Schwätzern» gepriesen (Met. I 3, 948 b 17). Ähnlich verfährt Aristoteles mit denjenigen frühen Denkern, die zwei Grundprinzipien (rudimentär Hesiod, dann Empedokles, Leukipp und Demokrit) annahmen. Man sieht, dass diese sehr gedrängte Übersicht in Auswahl und Wertung alles Andere als eine Philosophiegeschichte ist. Das gilt auch für die etwas ausführlichere Charakterisierung der Pythagoreer und ihrer Lehre von den Zahlen als Elementen aller Dinge.
    Von ungleich größerem Interesse ist das Referat der Lehre Platons (Met. I 6), weil Aristoteles hier über unmittelbarere Informationen verfügt als bei den frühen Philosophen. Er sieht die philosophische Entwicklung Platons sich in drei Stufen vollziehen. Am Anfang steht die Flusslehre Heraklits, die Platon durch den Heraklitschüler Kratylos von Jugend an vermittelt worden sei und an der Platon später insofern festgehalten habe, als er alle Sinnendinge in beständigem Fluss begriffen sah. Die zweite Stufe ist durch die Begegnung mit Sokrates bezeichnet und führt zur Annahme von festen Begriffen oberhalb der Sinnessphäre, die Platon zuerst Definitionen und dann «Ideen des Seienden» nannte, an der die Dinge der sinnlichen Wahrnehmung nur «Anteil»987 b 12) haben. Dann sei Platon – in einer dritten Stufe – unter den Einfluss der Pythagoreer geraten, die alles Seiende als «Nachahmung der Zahlen» ansahen. Platon habe lediglich die Wörter verändert und statt «Nachahmung» «Anteil» und statt «Zahlen» «Ideen» gesetzt (I 6, 987 b 10–14). So habe er mit den Zahlen die Mathematik in sein Denken einbezogen, dabei aber – anders als die Pythagoreer – der Welt der Zahlen eine Mittelstellung zwischen den Ideen und der Sinnenwelt zugewiesen. Auf der anderen Seite aber habe Platon die Letztbegründung alles Seienden und auch der Ideen in Form von Ideenzahlen gegeben, nämlich durch die «Eins» und die «unbegrenzte Zwei», im Grunde also zwei Prinzipien angenommen.
    Diesen viel diskutierten, in den Einzelheiten kompliziert formulierten Bericht wird man im Wesentlichen als zutreffend bezeichnen können, jedenfalls im Hinblick darauf, dass der Kontext allein die Frage nach den Ursachen und Prinzipien ist, mit einer gewichtigen Einschränkung allerdings. Der enorme Einfluss der Ontologie des Parmenides (1. Hälfte des 5. Jh.s) auf Platon bleibt gänzlich unberücksichtigt. Sollte Aristoteles wirklich «keine hinreichende Vorstellung» von der Lehre des Parmenides gehabt haben?[ 5 ] Auf der anderen Seite bestätigt der aristotelische Bericht eindeutig die (in der modernen Forschung umstrittene) Existenz einer aus den platonischen Dialogen nicht

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