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Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmut Flashar
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Gegenstand des Denkens, indem es diesen (unmittelbar) berührt und (dabei) denkt, so dass Denken und Denkbares ein und dasselbe wird … Wenn nun der Gott immer in einem so vortrefflichen Zustand sich befindet wie wir manchmal, dann ist das wunderbar, wenn aber in einem noch höheren Grade (im Verhältnis zum Menschen), dann ist es noch wunderbarer. So verhält es sich aber. Auch Leben kommt ihm ganz gewiss zu. Denn die Wirklichkeit des Denkens ist Leben, und jener (der Gott) ist diese Wirklichkeit. Denn die ihm zugehörige Wirklichkeit ist bestes und ewiges Leben. Wir sagen daher, dass der Gott das ewige, beste Lebewesen ist, so dass Leben und ununterbrochene und ewige Fortdauer dem Gott zukommt (XII 7, 1072 b 13–30).
    Diese auch im Stil emphatisch überhöhte Passage hat man den «höchsten Punkt der antiken Philosophie» genannt (Oehler).
    Suchen wir das Konzept noch etwas besser zu verstehen, so muss man von der Grundlage der ganzen Argumentation ausgehen, wonach Aristoteles drei verschiedene Arten von Substanzen unterscheidet, nämlich 1. die Einzelsubstanz, von der kategoriale Aussagen (Qualität und Quantität usw.) gemacht werden können, die im Spannungsfeld von Möglichkeit und Wirklichkeit innerhalb unserer Welt der sinnlichen Erfahrung steht und in der es die verschiedensten Arten von Bewegung und damit Veränderung gibt. Wie Aristoteles in der Schrift Über den Himmel näher ausführt (vgl. S. 274), reicht diese Sphäre von der Erde bis zum Mond; es ist die sublunare Sphäre. 2. Substanzen, die bewegt und wahrnehmbar, aber ewig sind, die Planeten, die an der Himmelschale kreisen, 3. den Unbewegten Beweger, der von allem sinnlich Wahrnehmbaren getrennt ist. Eine ähnliche Dreiteilung der Seinsbereiche findet sich auch bei Platon, Xenokrates und anderen Mitgliedern der Akademie. Sie beschreiben alle einen «Aufstieg» (Anodos) vom Vielen zum Einen. Auch dass das oberste Seinsprinzip «Gott» genannt wird, ist in der philosophischen Tradition seit Xenophanes vorgeprägt und findet sich explizit bei einigen der vorsokratischen Philosophen, auch bei Platon selbst und seinem Schüler Xenokrates. Das Gemeinsame dieser philosophischen Konzeptionen ist, dass entgegen den Gottesvorstellungen der Volksreligion und überhaupt jeder religiösen Erfahrung die Existenz Gottes wissenschaftlich ableitbar ist, jeweils in unterschiedlichen Akzentuierungen. Der Gott des Aristoteles ist, obwohl als «Lebewesen» bezeichnet, keine Person, sondern ein Denkmodell, er ist kein Weltschöpfer, keine Macht des Schicksals; er ist ohne Materie. Obwohl sein Wesen reine Wirklichkeit ist, kümmert er sich um die Welt nicht, wie er auch seinerseits unbeeinflussbar ist, man kann keine Gebete an ihn richten. Dazu passt, dass Aristoteles immer die Form im Neutrum «das unbewegt Bewegende» benutzt, dieser «Gott» also entpersonalisiert erscheint. Aristoteles entwickelt dabei seine Theologie hinsichtlich der Argumentationsstruktur bei aller spezifischen Ausprägung im Rahmen eines Denkgehäuses, das Platon vorgegeben hat.[ 20 ]
    Doch treten auch die fundamentalen Unterschiede deutlich hervor. Sie liegen sichtlich im kosmologischen Konzept. In einem seiner späteren Dialoge, im Timaios, vermutlich zeitnah zum 12. Buch der aristotelischen Metaphysik, hat Platon eine Kosmologie entwickelt, gegen die sich Aristoteles implizit, aber offenkundig absetzt. Für Platon gibt es einen Schöpfer der Welt, der wie ein Handwerker («Demiurg») die Welt gestaltet, als Abbild einer vollkommenen Idee. Dieser Schöpfer wird «Hersteller», «Vater des Alls» ( Timaios 28 C) und «Gott» (30 A) genannt, die von ihm geschaffene Welt ein «Lebewesen» (30 B). In einem regelrechten Schöpfungsakt konstruiert dieser «Demiurg» das All aus mathematischen Gegebenheiten, aus einer Kugel und aus vier regelmäßigen Polyedern. Dabei schaff t er auch eine dem Weltkörper eingebundene «Weltseele», und er schaff t auch die Zeit als Abbild der Ewigkeit (37 C). Gestirne gelten als «Werkzeuge der Zeit», insofern sich durch sie die Planetenbahnen Jahr, Monat, Tag und Nacht messen lassen. Der Demiurg erschafft auch Götter, Lebewesen und Gestirne, die um ihre eigene Achse rotieren (40 A–C).
    Diese wenigen Andeutungen über die komplexe Kosmologie Platons, von ihm selbst als «wahrscheinliche Rede» (29 D) bezeichnet – wir würden sagen: als Weltmodell[ 21 ] –, mögen zeigen, wogegen sich Aristoteles trotz der Übernahme einiger Vokabeln absetzt. Das

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