Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)
insofern der erste Teil des Buches (Kap. 1–6) von den wahrnehmbaren Substanzen handelt, und zwar relativ ausführlich, zuerst von den sinnlich wahrnehmbaren veränderlichen Substanzen (Kap. 1–5), dann von den sinnlich wahrnehmbaren ewigen Substanzen (Kap. 6), während der zweite Teil des Buches (Kap. 7–10) den intelligiblen ewigen Substanzen gewidmet ist. Die Theologie bekommt also einen physikalisch-ontologischen Unterbau. Denn das ist sofort klar: Die Untersuchung der wahrnehmbaren Substanzen, die sich wie eine komprimierte Zusammenfassung der Substanzontologie der «Substanzbücher» (Met. VII–IX) liest (wobei das chronologische Verhältnis offen bleibt), steht nicht um ihrer selbst willen da, sondern ist zielgerichtet und mündet in einem fortschreitenden Prozess der Reduktion hin zur obersten Instanz des Seins, zum «Ersten Beweger», genauer: zu einem «Ersten Bewegenden». Entsprechend stehen Begriff und Gedanke der Bewegung, der «Veränderung»im Vordergrund. Die Arten der Veränderung der Einzelsubstanz (Qualität, Quantität, Ortsbewegung) werden genannt, ein Substrat für jede Veränderung postuliert, der Übergang von Stoff zu Form als ein Prozess von Möglichkeit zu Wirklichkeit skizziert. Stoff und Form erscheinen dabei als Endpunkte von Veränderungsprozessen; letzte Form und letzte Materie entstehen nicht. Form, Stoff und deren «Beraubung» (Privation, z.B. Zerstörung) werden ebenso wie die «Analogie» als Aspekte des Seins behandelt – kurz: Alles klingt an, was in verschiedenen Zusammenhängen auch in anderen Büchern der Metaphysik ausgeführt ist.
Das Postulat eines selbst unbewegten Seins, das Ursache für alle Bewegung und Veränderung in der sinnlich wahrnehmbaren Welt ist, geht von dem Gedanken der Ewigkeit von Bewegung und Zeit aus. Bewegung als solche kann ebenso wie die Zeit nicht entstehen oder vergehen; beides war und ist immer, wie Aristoteles ausführlicher in der Physik darlegt. Die einzelne, wahrnehmbare Bewegung hat Anfang und Ende, aber es gibt eine wahrnehmbare und zugleich ewige Bewegung ohne Anfang und Ende, die Kreisbewegung. Da jede Bewegung an eine Substanz gebunden ist, ergibt sich, dass die ewige und nie aufhörende Kreisbewegung als diejenige der Planeten in Erscheinung tritt. Diese Sphäre nennt Aristoteles den «ersten Himmel» (Met. XII 7, 1072 a 23). Damit kommt eine kosmologische Komponente in den Gedankengang, und in der Tat ist die Ontologie des Aristoteles zugleich eine Kosmologie, wie denn auch die jetzt (Kap. 6) wieder auftauchende Auseinandersetzung mit den früheren Philosophen an deren kosmischen Konzeptionen orientiert ist. Dabei leugnet Aristoteles strikt gegen Platon (und Andere) die Möglichkeit einer ewigen Selbstbewegung. «Alles Bewegende wird von etwas bewegt», ist sein Grundsatz (Met. XII 8, 1073 a 26). Also muss auch der «erste Himmel» (nach dem kosmologischen Weltbild des Aristoteles) von etwas bewegt sein und das ist «der erste Beweger», «das erste Bewegende». Seine Eigenart ist durch das Fehlen aller Eigenschaften charakterisiert, die jeder anderen Form des Seins zukommt. Er ist unbewegt; jede Bewegung, auch die bloße Kreisbewegung, wäre Veränderung. Er steht nicht im Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit, er ist reine Wirklichkeit. Er ist also ewig, unbewegt, löst aber durch sein reines Dasein eine Bewegung aus «wie etwas, das man liebt», und «durch ein Bewegtes bewegt er alles Andere» (Met. XII 7, 1072 b 3). Dieses «Bewegte» ist der «erste Himmel». Die übrige Welt bewegt der erste Beweger also nur mittelbar. Aristoteles bezeichnet diesen ersten Beweger als «Denken»Als reine Wirklichkeit muss er zudem tätig sein. Sein Wirken richtet sich auf das im höchsten Sinne Beste und das ist er selber. Also denkt er sich selber. Mit dem «Denken des Denkens»hat Aristoteles eine ‹Geistmetaphysik› konstituiert, die zugleich Theologie ist, denn dieses höchste Wesen wird «Gott» genannt.
An einem solchen Prinzip hängt also der Himmel. Seine Lebensweise ist aber so, wie die beste es für uns auf kurze Zeit ist. Denn so lebt jenes Wesen immer, uns ist das nicht möglich. Seine Tätigkeit ist auch Lust und eben deshalb ist Wachen, Wahrnehmen, Denken am lustvollsten und dadurch dann Hoffnungen und Erinnerungen. Das Denken an sich geht auf das an sich Beste, und zwar das (Denken) im höchsten Maße auf das im höchsten Maße (Beste). Sich selbst also denkt das Denken im Erfassen des Denkbaren. Denn es wird
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