Arkadien 01 - Arkadien erwacht
ausgegangen.
Unbemerkt erreichten sie das Zimmer mit dem aufgebrochenen Fenster. Es war nach wie vor angelehnt. Wer immer sich noch im Haus befand, er war höchstwahrscheinlich auf einem anderen Weg hereingekommen.
Rosa zog das Fenster am Griff nach innen. Ein kühler Luftzug wehte vom Meer herein. Sie legte die Papiere und den Hammer außen auf die Fensterbank und kletterte ins Freie. Alessandro folgte ihr.
Eine Stimme, irgendwo im Haus. Dann ein kurzer, dumpfer Laut. Eine zweite Stimme fluchte und schimpfte über Schatten, die sich bewegten.
Rosa stöhnte auf. »War das ein Schuss?«
Im Mondlicht wirkte Alessandro bleicher als sonst. »Komm weiter«, wisperte er, duckte sich und ergriff ihr Handgelenk. Die Berührung tat gut, ein Hauch von Wärme in der Gletscherkälte, die jetzt wieder ihren Körper erfasste. Aber sie konnte so nicht laufen, entzog ihm ihren Arm und schüttelte knapp den Kopf. Dann rannten sie gemeinsam los, vorbei an den Palmen, die ihnen kaum Deckung boten, und über den vertrockneten Rasen.
In ihrem Rücken erklangen abermals Stimmen, jetzt im Freien.
Die Büsche am Rand des Grundstücks raschelten. Dahinter befand sich ein Gitterzaun.
Mit einem Mal war da noch etwas anderes. Ein langer, schwarzer Schemen, der sich durch das verdorrte Gras schlängelte wie ein Rinnsal aus dickflüssigem Öl.
»Lamien!«, flüsterte Alessandro.
Das Geräusch aus dem Haus wiederholte sich. Zwei Mal.
Unmittelbar vor ihnen wurden zwei faustgroße Krater in den Boden gerissen. Gras und Staub wirbelten durch die Luft.
»Stehen bleiben«, sagte eine Männerstimme.
Rosa fuhr herum und schleuderte den Hammer.
Verrat
D er Schütze trug eine schwarze Skimaske mit Augenschlitzen. Er musste Rosas Bewegung wahrgenommen haben, aber es war zu dunkel und der Hammer flog zu schnell, als dass der Mann hätte ausweichen können. Der harte Gummikopf traf ihn mit einem scheußlichen Laut im Gesicht und warf ihn rückwärts zu Boden. Der Revolver fiel ihm aus der Hand, er stieß ein halb betäubtes Stöhnen aus.
Der zweite Mann, gleichfalls maskiert, fluchte, feuerte ein weiteres Mal vor Alessandro ins Gras und kam mit schnellen Schritten auf die beiden zu.
»Weg von dem Mädchen!«, herrschte er Alessandro an. »Mach schon!«
Mit dem Hammer hatte Rosa dem ersten Angreifer womöglich den Schädel zertrümmert, ganz sicher die Nase gebrochen. Und dennoch spürte sie nichts dabei. Das alles passte nicht zusammen: der fließende Schatten im Gras, die Waffe, die auf sie gerichtet war.
Alessandro stellte sich vor Rosa und schützte sie mit seinem Körper. Er machte keine Anstalten, dem Befehl des Mannes Folge zu leisten. »Bleib hinter mir«, flüsterte er über die Schulter. Schwärze kroch seinen Nacken empor, dichtes, dunkles Pantherfell.
»Was hast du da?«, fragte der Mann.
»Schraubenzieher«, knurrte Alessandro.
»Nicht du – sie!«
»Gar nichts«, entgegnete Rosa und hoffte, dass er nur bluffte und nichts gesehen hatte.
»Gib die Papiere her.«
»Nein.« Wenn sie Dallamanos Unterlagen aufgab, war Iole verloren. Das war es, um was es hier ging. Nicht um ihr Leben,nicht um Alessandro – nur darum, dass dieser eine dünne Faden, an dem Ioles Schicksal baumelte, nicht reißen durfte.
Der verletzte Mann am Boden tastete mit der Hand nach seinem Gesicht und schrie abermals auf. Er wollte sich die Skimaske herunterziehen, aber das machte den Schmerz wohl noch schlimmer.
Der andere stand etwa drei Meter von Alessandro und Rosa entfernt. »Gib mir die Sachen«, forderte er erneut, »oder ich schieße deinem Freund ins Knie.«
Rosa machte einen Schritt aus Alessandros Deckung heraus und schüttelte heftig den Kopf, als er sich wieder vor sie schieben wollte. »Nicht«, sagte sie.
Hinter ihnen, zwischen den Büschen, ertönte ein Zischen und Rascheln.
Rosa blickte nicht zurück, behielt nur den Mann mit der Waffe im Auge. Das schleifende Geräusch erklang erneut. »Florinda.«
Sie war so dumm gewesen. Ihre Tante hatte sie am Telefon hingehalten, um das Handy orten zu lassen. Ein Gefallen der Telefongesellschaft, keine große Sache.
»Florinda!«, rief sie erneut und log: »Ich weiß, dass du das bist. Und dass er mich nicht erschießen wird!«
»Nicht dich«, sagte der Mann mit überheblichem Grinsen, »aber den Carnevare, wenn er auch nur mit der Wimper zuckt.«
Rosa trat vor Alessandro. Er behielt noch immer seine Menschengestalt, aber sie spürte, wie unter seiner Kleidung das Fell wuchs und gegen
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