Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Körper war wie erstarrt, ihr Blut wie Eiswasser. Die Waffe bewegte sich um keinen Millimeter. Selbst ihr Zeigefinger hörte auf zu beben.
    Die Schlange starrte sie an, aus geschlitzten, funkelnden Augen. Ihre gespaltene Zunge berührte die Mündung des Revolvers, tastete daran entlang, einmal rundherum, und Rosa dachte: Ich kann es tun. Ich kann es jetzt tun und dann wird alles anders.
    Aber aus dem Augenwinkel sah sie noch etwas.
    Alessandro riss dem verletzten Mann mit den Zähnen den Kehlkopf heraus, hielt ihn triumphierend zwischen seinen Pantherkiefern. Schließlich schleuderte er seine Trophäe von sich und stieß ein ohrenbetäubendes Siegesgebrüll aus.
    Rosas Hass und Mordlust schwanden auf einen Schlag. Sie ließ die Waffe sinken. Die Schlange schoss blitzschnell über den Rasen davon, hinter dem zweiten Mann her, und wurde eins mit den Schatten.
    Rosa kauerte am Boden, den Revolver im Schoß, den Kopf gesenkt, und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Vielleicht vergingen Minuten, während sie die Waffe in ihren weißen Fingern anstarrte und darauf wartete, dass die Wärme zurückbrachte, was sie so lange abgelehnt hatte: ihr schlichtes, verletzliches Menschsein.
    Er trat von hinten an sie heran, berührte sie sanft an der Schulter. Als sie aufschaute, erwartete sie sein blutverschmiertes Panthermaul zu sehen. Stattdessen blickte sie in seine schönen grünen Augen, entsetzlich traurig und voller Schuldbewusstsein. Abermals fröstelte sie, aber nicht vor Kälte, nur vorAngst und Vorahnung und Hilflosigkeit. Er war wieder er selbst, sein T-Shirt zerrissen, seine Lippen blutig.
    »Sie sind fort«, sagte er, als er neben ihr in die Knie ging und seine Arme um sie legte, ganz fest, und ihr Gesicht an seine Schulter zog. »Sie haben alles mitgenommen.«
    Sie weinte in den zerfetzten Stoff seines T-Shirts hinein, spürte die heißen Tränen zwischen ihren Wangen und seinem Hals. Lauschte dem Pochen seiner Pulsader und fühlte den schnellen, erregten Schlag seines Herzens.

Die Erbin
    A lessandro lenkte den Wagen in die Auffahrt zum Palazzo Alcantara. Die beiden Wächter am Tor musterten ihn argwöhnisch, als sie Rosa entdeckten. Sie kauerte auf dem Beifahrersitz, das Haar zerrauft, mit verschmutztem Gesicht und klopfender Schläfe, die sich vom Faustschlag des Mannes dunkel färbte. Rosa gab ihnen zu verstehen, dass alles in Ordnung sei.
    In ihrem Schoß lag noch immer der Revolver. Sein Gewicht erzeugte ein verstörendes Gefühl von Sicherheit, verstörend, weil es sie daran erinnerte, dass sie bald eine Entscheidung treffen musste. Sie war fest entschlossen die gestohlenen Fotos zurückzuholen. Aber wie weit würde sie dafür gehen? Würde sie abdrücken? Sie hätte die große Schlange erschießen können und hatte es nicht getan. Aber wenn die Ereignisse vor einem Jahr sie etwas gelehrt hatten, dann, dass sie gut daran tat, denselben Fehler nicht zweimal zu begehen.
    Sie sprachen nicht während der letzten zwei Kilometer bis zum Palazzo. Die Scheinwerfer beleuchteten die vorderen Baumreihen, alles dahinter behielt die Dunkelheit für sich.
    Rosa wusste nicht, was die nächste Stunde bringen würde. Oder der nächste Tag. Sie wusste nicht einmal, was sie zu Alessandro sagen würde, oben auf dem Platz vor dem Haus, wie sie ihn bitten sollte, sie allein hineingehen zu lassen.
    Noch immer verstand sie nur wenig von dem, was geschehen war. Florinda musste den Nachmittag genutzt haben, um mit ihren Männern nach Syrakus zu fahren. Blieb die Frage, wie viel ihre Tante über die Dallamanos und den Fund am Meeresgrund wusste. Gab es eine Verbindung zwischen Lamien und Panthera, zwischen Alcantaras und Carnevares, die beide Clans um jeden Preis totschweigen wollten?
    Mehr und mehr kam sie zu dem Schluss, dass sie nur schrittweise vorgehen konnte. Der erste Schritt war Florinda selbst. Oder aber – und es fiel ihr schwer, sich das einzugestehen – ihre Schwester. Alles, was sie gesehen hatte, war eine Lamia gewesen, eine Angehörige ihrer Dynastie. Es musste nicht Florinda gewesen sein. Und doch –
    »Da brennt irgendwas«, sagte Alessandro.
    Weiter oben im Berghang loderte ein Feuer, immer wieder verdeckt von den Bäumen.
    Als der Wagen auf den Vorplatz fuhr, stand die Schale des Steinbrunnens in Flammen, ein Fanal wie ein Scheiterhaufen, das die Fassade des Palazzo in Glutlicht tauchte und die Figuren in den Nischen zum Leben erweckte.
    Alessandro fuhr im Schritttempo an dem lodernden Feuer vorüber. »Was ist

Weitere Kostenlose Bücher