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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Respekt wirst du noch lernen, zusammen mit vielem anderen. Ich werde dir ein guter Lehrmeister sein.«
    Er war bullig, aber nicht größer als sie, und bei aller Masse war er alt und ausgelaugt. Sie fürchtete sich nicht vor ihm – solange er ein Mensch blieb. Aber Salvatore Pantaleone war auch ein Arkadier und sie fragte sich erneut, welche Bestie in ihm schlummern mochte.
    »Es ist lange her«, sagte er, »dass ich mehr getan habe, als im Verborgenen die Fäden zu ziehen. Ich habe mit eigenen Händen Menschen getötet, aber das liegt Jahrzehnte zurück. Später haben allein meine Befehle ausgereicht, um anderen Unglück zu bringen. Aber sie haben auch viele Männer vermögend und einflussreich gemacht. Frage irgendeinen der capi und jeder wird zugeben müssen, dass ich uns in ein neues glänzendes Zeitalter der Cosa Nostra geführt habe.«
    Sie versuchte ihn dort zu treffen, wo es ihm hoffentlich wehtun würde. »Warum unterstützen einige dann im Geheimen den Hungrigen Mann? Warum warten sie darauf, dass eraus seiner Zelle nach Sizilien zurückkehrt und wieder die Macht ergreift? Warum hassen diese Männer Sie so sehr, dass sie einem Mann, den alle für ein Ungeheuer halten, den Vorzug vor Ihnen geben?«
    Er wandte sich ab, entfernte sich ein paar Schritte und blieb vor einem Gemälde stehen, einer sizilianischen Landschaft voller Schafe und emsiger Bauern.
    »So wie auf diesem Bild«, sagte er, »ist es in Wahrheit niemals gewesen. Nichts ist, wie es scheint. Könntest du hinter das Lachen dieser Menschen blicken, dann würdest du die Furcht erkennen, die Angst vor der nächsten Nacht. Und könntest du hinter die Bäume und Bauernhäuser und Kirchtürme schauen, dann würdest du überall uns und unsere Spuren entdecken. Die Arkadischen Dynastien sind seit jeher die Herrscher des Mittelmeers gewesen. Von seinen Küsten aus sind sie in alle Welt aufgebrochen und haben sich nach und nach die alten und neuen Reiche untertan gemacht. Diese dummen, lächerlichen Arbeiter auf den Feldern, mit ihren rotwangigen Frauen und schmutzigen Kindern – sie waren immer nur Beute für uns.«
    Er drehte sich wieder zu Rosa um, doch ihr Blick hing an dem Gemälde, als öffnete sich mit einem Mal ein Fenster in die Vergangenheit.
    »Aber die Zeiten haben sich geändert«, fuhr er fort. »Damals haben wir sie in Rudeln gejagt, haben ihr Vieh verschlungen und ihre Söhne und Töchter gerissen. Heute regieren wir sie nicht mehr durch Angst allein, sondern mit unserem Reichtum, unserer Raffinesse, unserem Wissen um ihre Schwächen. Daraus schöpfen wir unsere Kraft, und wer etwas anderes behauptet, der ist ein Narr … Aber natürlich gibt es immer welche, die das nicht einsehen wollen. Jene, die dem Vergangenen nachweinen. Der Hungrige Mann ist ein lebendes Versprechen – ein Versprechen, zurückzukehren zu den alten Zeiten, den antiken Sitten und Gebräuchen, dem maßlosen Töten undder Völlerei. Er hat es schon früher versucht und ist gescheitert, und in den Jahrzehnten seiner Haft ist sein Hass auf die Menschen noch größer geworden. Er will denen, die es dürstet nach dem Blut der Sklaven, die danach hungern, wieder Krallen und Zähne in wehrloses Fleisch zu schlagen – all denen will er geben, wonach sie verlangen. Deshalb bereiten sie im Verborgenen seine Rückkehr vor, und nicht etwa, weil ich sie schlecht geführt hätte!«
    Der Revolver bebte in Rosas Hand. Sie hielt ihn fest umklammert, als könnte ihr die Waffe die nötige Kraft verleihen, nicht zum Opfer seiner Überzeugungskraft zu werden. Sie wollte ihm zeigen, dass seine Worte sie nicht erreichten, dass nichts von alldem irgendeine Bedeutung für sie hatte.
    Aber natürlich wusste sie es besser. Genau wie er.
    Pantaleone verkörperte die Arkadischen Dynastien in ihrer modernen Gestalt, reich und mächtig im Gewand der Cosa Nostra und anderer Organisationen, die die Welt unter sich aufgeteilt hatten. Der Hungrige Mann aber stand für die Barbarei der Vergangenheit, als Menschen Freiwild gewesen waren und die Arkadier in aller Offenheit geherrscht und gewütet hatten. Eine Ära der Bestien.
    »Willst du sein wie sie?«, fragte Pantaleone jetzt mit lockender Sanftheit in der Stimme. »Willst du das Ungeheuer sein, das Monster, der Albtraum in der Nacht? Oder willst du weiterleben wie bisher, nur besser, reicher, glücklicher? Deine erste Verwandlung steht kurz bevor – falls du sie nicht bereits hinter dir hast.«
    Sein bohrender Unterton gab den Ausschlag.

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