Arkadien 01 - Arkadien erwacht
der Boss der Bosse, der Herrscher der sizilianischen Mafia, bat sie mit einer Geste um Geduld. Statt zu ihr sprach er in sein Handy: »Habt ihr ihn erkannt? … Nein, macht alles ganz genau so … Aber notiert euch die Nummer … Ja, natürlich, genau die !«
Er brach das Gespräch ab, steckte das Handy ein und lächelte.
»Ich dachte, Sie benutzen so was nicht«, sagte sie.
»Die Umstände lassen mir keine Wahl. Im Augenblick muss alles sehr schnell gehen.«
Die Bewegung, mit der sie den Revolver entsicherte, musste ihm verraten, wie ungeübt sie damit war.
»Rosa, Rosa, Rosa«, sagte er leise. »Du betrittst dieses Haus mit einer Waffe, aber du hältst sie nicht im Anschlag. Du durchsuchst alle Zimmer und Flure, aber du schaust nie gründlich in die Schatten. Und du kommst ganz allein hierher, obwohl du weißt, was Florinda getan hat und dass sie Zoe zu ihrer Nachfolgerin machen will und auf dich verzichten kann.«
Er ging zu einem Sessel hinüber, einem antiken Möbel mit goldenen Holzfüßen und roten Samtkissen, und ließ sich darauf nieder. Mit dem scharfen Blick seines einen Auges musterte er sie.
»Florinda und Zoe sind nicht hier«, sagte er. »Sie sind schon seit gestern in Syrakus. Von dort aus wollten sie zum Versammlungsort des Tribunals weiterfahren.«
Alle beide?, dachte sie.
»Du hast es ihnen leicht gemacht«, fuhr er fort. »Florinda ist durchtrieben, das solltest du mittlerweile erkannt haben. Und Zoe, die arme Zoe … sie ist nur Wachs in den Händen deiner Tante. Florinda hat sie nach Sizilien gelockt mit Versprechungen von Reichtum und Luxus, und selbst nach allem, was sie mittlerweile weiß, hat sie noch immer nicht die Hoffnung verloren, dass das Geld sie doch glücklich machen könnte. Das ist das Tragischste daran, findest du nicht? Florinda ist besessen, sie ist ganz wie ihre Mutter, deine Großmutter. Aber Zoe, die gutgläubige, formbare, ewig ausgenutzte Zoe – sie rennt nur ihrem Traum vom Glück hinterher.« Die Überheblichkeit verlieh seinen Worten einen ätzenden Unterton. »Florinda hat deiner Schwester versprochen, sie zu ihrer Nachfolgerin zu machen. Aber Zoe hat nie begriffen, was es bedeutet, die Anführerin eines Mafiaclans und einer Arkadischen Dynastie zu sein. Sie ist ein hübsches Mädchen, nicht dumm, aber so schrecklich naiv.«
»Was wollen Sie von mir?«, fragte Rosa.
»Erst einmal dein Vertrauen.«
»Und Sie glauben, der beste Weg dazu ist der, mir im Dunkeln aufzulauern und scheußliche Dinge über meine Schwester zu sagen?«
»Diese scheußlichen Dinge, wie du sie nennst … du weißt selbst, dass das die Wahrheit ist. Du hast Zoe schon lange durchschaut, ihre Schwächen, ihre Flatterhaftigkeit. Wenn irgendjemand weiß, dass sie niemals auch nur eine passable Clanchefin abgeben würde, dann du! Zoe zwischen all den capi der Familien? Komm schon, Rosa, ebenso gut könnten wir sie in ein Haifischbecken werfen und zusehen, was die Biester von ihr übrig lassen.«
»Weiß Florinda, dass Sie gegen ihre Pläne sind?«
»Aber natürlich! Sie ist mir noch immer treu ergeben, aber sie ist auch voller Hochmut. Sie will nicht einsehen, dass sie einen Fehler begeht. Sie glaubt, sie hat noch viel Zeit und kann Zoe zu etwas machen, das deine Schwester niemals sein wird … Du hingegen, Rosa, hast jetzt schon das Zeug dazu.«
Sie lachte bitter.
»Du hast keine Angst. Du hast die Schattenseiten des Schicksals kennengelernt und bist nicht daran zerbrochen, sondern gewachsen. Du bist perfekt , Rosa! Du musst noch vieleslernen, aber die Voraussetzungen sind ideal. Du ähnelst deinem Vater, viel mehr als Zoe, und das mag es auch sein, was Florinda so verabscheut. Sie hat ihm nie verziehen, dass er dem Clan um deiner Mutter willen den Rücken gekehrt hat. Vielleicht fürchtet sie ja, du könntest etwas Ähnliches tun.«
Ihr Mund war trocken, ihr Gaumen rau wie Schmirgelpapier. Sie fühlte sich krank, war völlig am Ende. Und er faselte von Perfektion und Wachsen. »Sie sind verrückt.«
Blitzschnell fuhr er aus dem Sessel hoch und stand mit wenigen Schritten vor ihr. Sie hielt noch immer die Waffe in der Hand, aber er wusste so gut wie sie selbst, dass sie nicht abdrücken würde. Bei ihrer ersten Begegnung im Wald hatte er sie geschlagen, aber diesmal versuchte er das nicht. Er sah sie einfach nur an, mit seinem einzelnen hellwachen Auge.
»Es ist in Ordnung, wenn du mich beleidigst. Zoe hat das nie getan. Du hast einen eigenen Willen, du bist eine Kämpferin.
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