Arkadien 01 - Arkadien erwacht
wird. Und wer weiß, ob es der letzte bleibt, wenn du nicht endlich einsiehst, dass du auf der Stelle verschwinden musst!«
»Er hat mich reingelegt!«
»Möglich.«
»Und er weiß, dass ich hier bin. Jetzt, in diesem Moment!«
»Durchaus denkbar.«
»Und Sie haben gewusst, dass Cesare mich hierherlocken würde!«
»Nur in Erwägung gezogen. Ich hätte dich nicht in seine Falle laufen lassen, wenn es keinen Ausweg gäbe. Falls du dich also beeilst, kannst du es schaffen. Cesare hat trotz allem einen Fehler begangen: Er hätte einen Verrat mit in seine Pläne einbeziehen müssen. Lass dir das eine Lehre sein, Rosa – Verrat ist unser ständiger Begleiter. Cesare ahnt nicht, dass zwei seiner Männer in Gibellina auf deiner Seite stehen. Er fühlt sich zu sicher, dieser Narr.«
»Zwei Männer? Wer noch, außer Remeo?«
»Du wirst ihm womöglich begegnen, wenn du dich jetzt sofort zum Wagen begibst!« Er war dieser Diskussion merklich überdrüssig.
Rosa ging es genauso. »Erst hole ich Alessandro hier raus.«
»Dazu ist keine –«
Sie beendete die Verbindung. Nach kurzem Zögern schaltete sie das Handy aus und schob es in ihre Tasche.
»Rosa?« Iole war aufgestanden und glättete benommen ihr weißes Kleid.
»Wir müssen los.« Rosa nahm sie bei der Hand und zog sie über den Leichnam hinweg zur Treppe.
»Rosa, ich weiß, wo er ist.« Iole lächelte, aber sie wirkte sonderbar abwesend. »Ich weiß, wohin sie Alessandro gebracht haben.«
s
Zehn Minuten später sah Rosa vom Rand des Monuments aus sorgenvoll zu, wie sich Iole als weißer Fleck in der Dämmerung entfernte. In dieser Richtung konnte sie den Mercedes nicht verfehlen. Rosa hatte ihr beschrieben, wo der Wagen stand, und ihr das Versprechen abgenommen, dass sie sich in der Näheverstecken und auf sie warten würde. Falls Rosa nicht nachkäme, bis es hell war, sollte sich Iole zu Fuß auf den Weg machen. Folgte sie der Straße, würde sie in zwei Stunden das nächste Dorf erreichen.
Mehr konnte Rosa im Augenblick nicht für sie tun. Die nördliche Route schien einigermaßen sicher zu sein. Die Carnevares und andere, die in Gibellina an der Wahl und der anschließenden Jagd teilnehmen sollten, hatten ihre Fahrzeuge südlich des zerstörten Dorfes im Tal abgestellt; Rosa hatte sie in der Morgendämmerung gesehen, ein gutes Stück weiter unten am Hang. Auf der unwegsamen und kurvigen Strecke im Norden würde Iole hoffentlich unbemerkt entkommen.
In den Betongassen des Monuments bereiteten mehrere Männer die Jagd vor. Sie bauten rundum Scheinwerfer und Generatoren auf. Rosa kauerte in hohem Buschwerk und überlegte, wie sie Cesares Handlanger am besten umgehen konnte.
Die Zeit drängte. Im Osten lugte die Sonne über die Hügel und färbte den Himmel feuerrot. Morgennebel stieg aus den umliegenden Tälern auf und zerfaserte an den verwilderten Weinbergen. Rosa schlug an der Westseite einen weiten Bogen um das Zementlabyrinth und lief geduckt den Hang hinauf, leidlich geschützt von Sträuchern und Trümmern. Noch hatte niemand bemerkt, dass Iole entkommen war. Gut möglich, dass Remeo ihr dort unten den Rücken freihielt.
Über ihr lag jetzt das einsame Anwesen aus braunem Bruchstein, das sie schon bei ihrer Ankunft gesehen hatte. Es thronte oberhalb des Monuments im Hang und wirkte unbewohnt.
Bislang hatte sie nur eine einzelne Patrouille entdeckt, der sie ohne große Mühe hatte ausweichen können. Alle übrigen Männer waren damit beschäftigt, Schweinwerfer aufzubauen, Kabel zu verlegen und eine große Festtafel vorzubereiten, windgeschützt hinter dem wuchtigen Felsen am Rand des Monuments. Weinkisten wurden klirrend die unbefahrbare Straße heraufgetragen, Holzbänke und Klappstühle aufgestellt. Einriesiger Grill, groß genug für ein Kalb, war von vier Männern den Weg herangeschleppt worden. Rosa überkam eine dunkle Ahnung, für wen der lange Grillspieß gedacht war.
War das die Art und Weise, wie die Arkadischen Dynastien ihre antiken Ausschweifungen ins Heute herübergerettet hatten? Welche Barbarei würde erst Einzug halten, wenn der Hungrige Mann erneut die Macht über die Dynastien an sich riss und den Menschenfleischkult des Königs Lykaon wiederbelebte?
Während sie das letzte Stück bis zum Haus überwand, grübelte sie noch einmal über Cesares Motive. Eigenartig, dass er nicht nach ihr suchen ließ. Es sei denn, dämmerte es ihr plötzlich, dass er zwar den Befehl gegeben hatte, dieser aber nie am Monument angekommen
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