Arkadien 01 - Arkadien erwacht
Alessandro rückte sich im Sessel zurecht. »Die Polizei hat ihn vor fast dreißig Jahren festgenommen. Er sitzt noch immer im Gefängnis, nicht auf Sizilien, sondern auf dem Festland.« Er zuckte die Achseln. »Seit einiger Zeit geht das Gerücht um, dass er von der neuen Regierung in Rom begnadigt werden könnte. Und genau das ist es, was die meisten Familien fürchten: dass der Hungrige Mann nach Sizilien zurückkehrt und seine alten Machtansprüche geltend macht. Keiner weiß, wie viele im Verborgenen noch auf seiner Seite stehen und ihn unterstützen werden, sobald er einen Fuß auf die Insel setzt. Es könnte dann nicht nur zu einem Machtkampf innerhalb der Mafia kommen, sondern auch zu einem Krieg zwischen den Dynastien.«
Rosa schlug die Decke zurück und raffte den Bademantel über ihren Knien zusammen. Sie fror nicht mehr, jetzt war ihr heiß. Alessandros Blick streifte ihre nackten Beine.
»Es gibt nur ein Problem«, fuhr er fort. »Das alles, der Ursprung der Dynastien … das ist ja nur der Mythos . Dummerweise erzählen Mythen nicht zwangsläufig die Wahrheit. In ihnen steckt das, was die Menschen vor Jahrtausenden für möglich gehalten haben. Aber eben nicht viel mehr … Glaubst du an Gott?«
»Was hat denn das damit zu tun?«
»Tust du nicht, oder? Geht mir genauso. Wieso sollten wir also glauben, dass es tatsächlich einen Zeus gegeben hat? Oder einen Fluch, den er über Arkadien verhängt hat?«
Sie hatte genug damit zu tun, die Existenz von Tiermenschen zu akzeptieren. Aber er hatte natürlich Recht. An etwas vollkommen Verrücktes zu glauben, das sie immerhin mit eigenen Augen gesehen hatte, war das eine; das andere war, einen antiken Göttervater für bare Münze zu nehmen.
»Wenn aber die Geschichte von Zeus’ Strafe nur eine Legende ist«, sagte er, »was ist dann tatsächlich geschehen? Wie sind die Arkadischen Dynastien wirklich entstanden?«
»Wenn du es nicht weißt.«
»Keine Ahnung«, gestand er kopfschüttelnd. »Und ich kenne auch keinen, der je eine andere Erklärung gefunden hätte.«
Sie schüttelte langsam den Kopf. Es war zu viel auf einmal. Sie konnte nur zuhören, bestenfalls alles aufnehmen. Zumal es ein anderes, sehr viel dringenderes Problem gab.
»Was ist aus Iole geworden?«, fragte sie leise.
Das Haus im Wald
Z u spät, um etwas zu bereuen.
Zu spät, um ins nächste Flugzeug zu steigen und zurück nach Amerika zu fliegen.
Zu spät, um das neue Leben, das sie auf Sizilien hatte finden wollen, im Laden-der-neuen-Leben zurückzugeben.
Stattdessen beschloss sie am nächsten Tag, in die Offensive zu gehen. Was sie nicht tat, war das Nächstliegende: Zoe und Florinda zur Rede zu stellen. Dazu war sie noch nicht bereit. Die beiden hätten ihr alles Mögliche erzählen können – so wie Alessandro, wenn sie ehrlich zu sich war – und es mochte die Wahrheit sein oder eine weitere Lüge oder eine Mischung aus beidem, die sie ruhigstellen sollte.
Das Einzige, was sie womöglich beruhigen würde, waren Antworten. Sie hatte ein Recht darauf, mehr über ihre Herkunft zu erfahren, über ihre Familie. Über das, was in den nächsten Wochen oder Monaten mit ihr geschehen würde.
Hundemüde war sie in den frühen Morgenstunden im Palazzo Alcantara angekommen, verstohlen in ihr Zimmer gehuscht und hatte die Tür abgeschlossen. Trotzdem war sie nicht unbemerkt geblieben und es hatte draußen auf dem Flur den unvermeidlichen Aufruhr gegeben. Florinda, die in angemessene Rage geriet. Zoe, die ihr durch die Tür ins Gewissen redete – Zoe , ausgerechnet!
Rosa hatte sicherheitshalber eine Stuhllehne unter die Klinke geschoben und sich das Kissen über den Kopf gezogen. Danach hatte sie tief und fest geschlafen.
Als sie am späten Vormittag erwachte, stand das Frühstück auf einem Tablett vor ihrer Tür. Ein Zettel mit Zoes Handschrift teilte ihr mit, dass Florinda auf Grund dringender Geschäfte nach Lampedusa geflogen sei, einer Insel zwischen Sizilien und Nordafrika. Zoe selbst sei verabredet und werde erst am Nachmittag aus Catania zurück sein. Daneben prangte ein aufgemaltes Smiley mit einem Kranz aus Sonnenstrahlen.
Alles vergeben und vergessen? Schwer vorzustellen. Rosa schlurfte mit dem Tablett hinunter in die Küche, machte sich noch einen Kaffee, der selbst Fundling hätte erbleichen lassen, und biss gerade zum zweiten Mal in süßes Gebäck, als ihr eine Idee kam.
Nachdem sie geduscht, ihre Pflaster erneuert und das goldene Handy tief im Nachttisch
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