Arkadien 01 - Arkadien erwacht
kurzes Stück hinter ihr blieben, gerade weit genug, dass er nicht in ihr Sichtfeld geriet. Aber sie spürte ihn, hörte ihn, roch ihn sogar.
Sie erreichte das geborstene Ende der Straße, setzte sich mit baumelnden Beinen an die Kante, starrte aufgewühlt und bebend in die Tiefe.
Warum nicht ich?, dachte sie. Reicht es nicht aus? Mag ich ihn nicht genug ?
Oder war da noch etwas, das ihm zu schaffen machte? Furcht vor irgendetwas? Der Hass auf Cesare? Vielleicht ein Schuldgefühl, das den Ausbruch herbeigeführt hatte?
Hinter ihr näherten sich Pfoten. Sein Schnurren an ihren Ohren. Das Reiben seines Fells an ihrem Rücken, ihrem Oberarm. Der heiße, animalische Geruch, die Wildheit, die er ausstrahlte. Geschmeidige Muskeln unter teerschwarzem Pelz. Eine Eleganz, die sie erzittern ließ.
Er setzte sich neben sie, ganz eng heran, und lehnte sein schönes Pantherhaupt an ihre Schulter.
Nachtfahrt
N achdem sie den Maserati zurück in die Garage gefahren hatte, ging sie wie in Trance den Weg zum Vorplatz hinab. Hinter den Kastanien und Pinien wurde die barocke Fassade des Palazzo sichtbar, die hohen Fenster, die Wasserspeier, der grün bemooste Stuck.
Von der Auffahrt her näherte sich Motorenlärm, dröhnte durch die Olivenhaine unterhalb des Anwesens. Es klang wie ein Rasenmäher.
Aber es war ein Motorroller und darauf saß Lilia. Sie hielt die Vespa neben Rosa an, unmittelbar vor dem Steinbrunnen, setzte ihren Helm ab und schüttelte sich das dunkelrote Haar über die Schultern. Von der schwarzen Lederjacke hob es sich ab wie Feuer. Ganz kurz meinte Rosa zwischen den Strähnen im Nacken eine Tätowierung zu sehen.
»Ciao«, sagte Lilia und strahlte.
»Ciao.« Rosa bemühte sich das Lächeln zu erwidern. Sie war melancholisch, vor allem aber verwirrt. Der Geruch des warmen Pantherfells begleitete sie noch immer.
Lilia runzelte die Stirn. »Was ist los?«
»Ich … bin nur Auto gefahren. Mit dem Maserati. War ziemlich aufregend.«
»Kann ich mir vorstellen. Irgendwelche Kratzer oder Beulen?«
Rosa schüttelte den Kopf.
»Das war der Wagen deines Vaters. Hast du das gewusst?«
Sie seufzte leise. »Gewusst hab ich’s nicht, nein.«
»Zoe hat’s mir erzählt. Sie fährt ihn auch manchmal.« Lilia grinste. »Weil ihr Amerikaner einfach nicht mit Gangschaltungen umgehen könnt.«
»Weiß sie, dass du hier bist?«
Lilia schüttelte den Kopf. »Ich wollte sie abholen. Ein bisschen durch die Gegend fahren. Wir machen das öfter, vor allem in der Dämmerung. Hast du schon ihre Vespa gesehen?«
»In der Garage steht keine.«
Lilia klopfte hinter sich auf den breiten Sattel. »Komm, ich zeig sie dir.«
Rosa stieg auf und hielt sich an ihr fest. Im nächsten Augenblick wurde sie schon nach hinten gerissen, als Lilia viel zu heftig Gas gab und die Vespa durchs Tor auf den Innenhof des Palazzo lenkte. Dort hupte sie ein paarmal, fuhr einen Kreis um das verwilderte Beet in der Mitte und hielt schließlich vor einer schmalen Tür in der Ostfassade. Vielleicht ein Zugang zu den Kellern. Die unterirdischen Teile des Anwesens hatte Rosa noch nicht in Augenschein genommen.
Lilia sah sich ungeduldig um. »Wo steckt sie denn?«
Rosa hob die Schultern und stieg ab. »Keine Ahnung. Heute Morgen war sie jedenfalls da.« Sie deutete auf das Fenster im ersten Stock. »Vielleicht ist Florinda wieder zurück und hat sie in der Mangel.«
Lilia zückte ihr Handy. »Mal sehen.«
Stille lag über dem Innenhof. Hinter keinem der Fenster war ein Klingelton zu hören. Lilia schüttelte den Kopf und schob das Handy in ihre Jacke. »Nur die Mailbox.«
»Sie wird mit Florinda unterwegs sein.«
Lilia trat die Stütze der Vespa hinunter und glitt vom Sattel. Zielstrebig schob sie den altmodischen Riegel der Tür beiseite. Sie blickte noch einmal über die Schulter. »Ich bin scheißneidisch auf das Ding.«
Als sie die Tür öffnete, erkannte Rosa, dass sie sich getäuscht hatte. Dahinter befand sich kein Zugang zum Keller, sondern ein düsterer Abstellraum. Gartengeräte hingen und lehnten an den Wänden, es roch nach Erde und Torf. Als Lilia einen Schalter neben der Tür betätigte, flammten mehrereLampen auf. In einer Ecke raschelte etwas, blieb aber hinter einer Ansammlung von Besen und Rechen verborgen.
Lilia deutete auf einen blitzblank polierten Motorroller, der mit durchsichtiger Plastikfolie abgedeckt war. Sie zog die Plane beiseite und enthüllte einen Traum aus Chrom und Gold. Die Oberflächen glänzten wie Spiegel.
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