Arkadien 01 - Arkadien erwacht
da waren bereits Tano und einer der anderen bei ihr. Der eine verstellte ihr den Weg, während Tano die Stützen seiner Maschine heruntertrat und abstieg. Mit knarzender Lederkluft kam er auf sie zu und packte sie am Arm. Er trug noch immer den Helm, genau wie die anderen.
»Lasst sie in Ruhe!«, brüllte Lilia auf halber Höhe der Zuschauerränge, ein dunkler Fleck inmitten der Sitzreihen. Der vierte Motorradfahrer war ebenfalls abgestiegen und wollte ihr folgen, aber Tano hielt ihn mit einem Wink zurück.
»Sie ist unwichtig.« Er klappte das Visier nach oben, zerrte Rosa am Arm herum und schnüffelte an ihrem blutenden Ellbogen. »Wir haben die kleine Alcantara-Schlampe, das genügt.«
Rosa trat ihm zwischen die Beine, so fest sie konnte. Aber er war zu nah und sie traf vor allem seinen Oberschenkel. Dennoch taumelte er einen Schritt zurück, fluchte lauthals und ließ sie los. Rosa wirbelte herum, rannte los – und prallte gegen den zweiten Motorradfahrer. Er versetzte ihr einen Schlag vor die Brust. Mit einem Aufschrei stolperte sie nach hinten und wurdevon dem vierten Kerl aufgefangen. Seine Arme legten sich um ihren Oberkörper und drückten ihr die Luft ab. Sie wollte sich wehren, schlug mit dem Hinterkopf gegen seinen Helm, strampelte und trat vor seine Knie, begriff aber, dass sie verloren hatte. Er war einen Kopf größer als sie, sehr viel stärker und unter dem Helm waren seine Augen und sein Gesicht geschützt. Panik schnürte ihr die Kehle zu, aber sie bekam sich weit genug unter Kontrolle, um stillzuhalten und sich ihre Kräfte für eine bessere Gelegenheit aufzusparen.
Lilia drohte ihnen zwischen den Rängen des leeren Amphitheaters, aber niemand achtete auf sie.
Als Tano Carnevare erneut in Rosas Blickfeld trat, hatte er Helm und Lederjacke abgelegt. Das T-Shirt, das er darunter trug, war schweißgetränkt und landete als Nächstes im Staub der Arena. Seine Hände fingerten an den Knöpfen seiner Hose. In Windeseile hatte er sie ausgezogen und stand in Shorts vor ihr.
Er war größer und noch durchtrainierter als Alessandro, mit Muskelpaketen, die im Licht des aufgehenden Mondes schimmerten. Als sie ihm zum ersten Mal begegnet war, auf der Beerdigung des Barons, hatte er eine Brille getragen. Jetzt hatte er keine mehr auf, weil seine Katzenaugen schärfer sahen als die jedes Menschen. Sie glühten gelb wie Bernstein. Auch sein Haar hatte sich verfärbt, war heller und borstiger geworden. Streifen aus gelbem, braunem und weißem Flaum krochen von seinen Hüften an seinem nackten Oberkörper empor.
Rosa wich seinem erbarmungslosen Blick aus und starrte an ihm vorbei, über den Platz hinweg und hinaus in die dunkle Landschaft. Bergrücken verschmolzen mit der Finsternis im Osten. Noch mehr Sterne waren am Himmel aufgetaucht. Rosa begann sie zu zählen.
Ein ohrenbetäubendes Krachen ertönte, gefolgt von einem rollenden Echo.
»Nehmt eure Finger von ihr!«, brüllte Lilia. »Ich hab eine Waffe!«
Tanos Verwandlung war bereits zu weit fortgeschritten. Adrenalinschübe pumpten ihm die letzten Spuren des Menschseins aus dem Leib, als sich Knochen und Muskeln verformten, sein Oberkörper vornüberkippte und er auf allen vieren landete. Als seine Tigerpranken am Boden aufkamen, verschoben sich seine Gelenke, die Glieder verkürzten sich, das Fell schloss die letzten freien Stellen. Sein Gesicht bestand jetzt aus Schnauze, Fängen und feurigen Augen.
Lilia schoss zum dritten Mal in die Luft und brüllte eine Warnung. Ihre Stimme klang näher. Sie musste die Stufen ein Stück herabgekommen sein.
Rosas Wahrnehmung war getrübt, als hielte jemand ihren Kopf unter Wasser. Ihr Körper hatte sich merklich abgekühlt, ihr Schweiß war eiskalt. Wieder spürte sie ein Ziehen und Zerren, und es waren nicht die beiden Motorradfahrer, die sie jetzt an den Armen festhielten.
Aber etwas verhinderte noch immer, dass die Schlange in ihr zum Ausbruch kam. Es geschah nicht bewusst. Ohnehin fühlte sie sich wie betäubt. Die Panik beherrschte sie, die Angst davor, dass das Gleiche wie damals noch einmal geschehen könnte. Ein Teil von ihr erkannte die Situation wieder, auch wenn sie in jener Nacht nicht bei Bewusstsein gewesen war. Sie war wieder allein und wehrlos und da waren diese Männer um sie herum, bereit ihr anzutun, wonach ihnen gerade der Sinn stand.
Der Tiger machte einen lauernden Schritt auf sie zu.
Plötzlich waren ihre Arme frei. Die beiden anderen hatten sie losgelassen, wichen zurück. Gewiss
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