Arkadien 01 - Arkadien erwacht
bisschen empfindlich bin, wenn es um Injektionen geht, um die ich nicht gebeten habe.«
»Nur so eine Art Beruhigungsmittel. Die Rezeptur ist uralt, angeblich noch aus der Antike … Ich weiß nicht, ob das stimmt. Vielleicht ist auch das nur Gerede. Ich hab’s mir sogar schon selbst gespritzt. Es schadet nicht, man sollte es nur nicht übertreiben.«
»Sagt wer?«
Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. »Alles, was wir über uns und unsere Art wissen, hat man uns erzählt. Es sind Überlieferungen. Wenn wir anfangen, das in Frage zu stellen, müssen wir alles anzweifeln.«
»Das hast du doch selbst schon getan. Diese Geschichte über König Lykaon, der von Zeus bestraft worden ist … Du hast gesagt, dass du daran nicht glaubst.«
»Das ist ein Mythos. Wahrscheinlich. Aber dieses Mittel hab ich am eigenen Leib ausprobiert, mehr als einmal. Es verhindert für fünfzehn, zwanzig Minuten, dass die Verwandlung ausbricht. Ich hatte ein paar Ampullen davon mit in Amerika.«
Sie schüttelte resignierend den Kopf. »Spielt ja auch keine Rolle mehr … Was ist mit Iole? Wenn er von einer Jagd spricht, meint er dann tatsächlich –«
»Ja.«
»Und du hast es nicht für richtig gehalten, das zu erwähnen?«
Er trat wütend das Gaspedal durch. »Was hätte ich denn sagen sollen? ›Ach, übrigens, wenn ein neues Familienoberhaupt sein Amt antritt, dann will es die Tradition, dass wir eine Nacht lang Menschen jagen‹?«
Sie starrte ihn an, fast sprachlos.
»Ich hätte es übrigens nicht tun müssen«, fuhr er fort, »weil ich der Erbe meines Vaters bin. Stirbt ein capo und sein Sohn wird sein Nachfolger, dann wird getrauert, nicht gefeiert. Wird aber ein anderer zum Oberhaupt, kein direkter Erbe, dann istdas ein Triumph, der ihm und seinen Anhängern vielleicht über Generationen Wohlstand und Einfluss garantiert – das ist ein Grund für eine Feier.«
»Und eine Feier«, sagte sie tonlos, »bedeutet, dass die Carnevares auf Menschenjagd gehen? Dass sie ein fünfzehnjähriges Mädchen jagen und töten, das mehr durchgemacht hat, als wir uns überhaupt vorstellen können? So was nennt deine Familie eine verschissene Feier ?«
»Ich hab die Regeln nicht gemacht.«
»Aber du stellst sie auch nicht in Frage!« Sie schnaubte aufgebracht. »Und du wirfst mir vor, dass ich dir nicht vertraue!«
Seine Knöchel am Lenkrad waren weiß, blaue Adern zeichneten sich unter der Haut ab. »Ich hab dir in allem immer die Wahrheit gesagt.«
»Es geht aber um das, was du nicht gesagt hast«, entgegnete sie heftig. Nach kurzer Pause fragte sie kopfschüttelnd: »Wie viel Zeit bleibt uns noch?«
»Es wird eine Wahl geben, zu der sich die ranghöchsten Mitglieder des Clans zusammenfinden. Dann, gleich im Anschluss, wird Cesare in einer Zeremonie seinen Eid als capo schwören. Das alles wird dauern, erst recht, wenn er vorher das Tribunal von deiner Schuld an Tanos Tod überzeugen will.«
»Wann werden sie Iole töten?«
»Die Jagd findet unmittelbar nach der Vereidigung statt. In zwei Tagen, schätze ich.«
»Ganz sicher nicht früher?«
Er schlug mit der Hand so fest aufs Steuer, dass der Wagen bei Höchstgeschwindigkeit einen Schlenker machte. »Verdammt, woher soll ich das so genau wissen?« Beide waren aschfahl, als er den Mercedes wieder unter Kontrolle brachte. Leiser fügte er hinzu: »Ich glaube nicht, dass es ihm schneller gelingt, mich bei den anderen zu diskreditieren.«
»Weil du mich beschützt hast?«
Er nickte. »So lange dürfte Iole sicher sein.«
»Und du hast keine Ahnung, wohin sie sie bringen könnten?«
Er schüttelte den Kopf. »Cesare hat offenbar Menschenjagden auf der Isola Luna veranstaltet. Sicher waren die Tiere deshalb dort eingesperrt. Er hat sich schon früher einen Spaß daraus gemacht, an der Seite von echten Löwen und Tigern zu jagen.«
Rosa stöhnte angewidert auf. »Vielleicht macht er es ja wieder dort. Auf der Insel.«
»Glaube ich nicht. Für gewöhnlich werden zu einer Vereidigung auch capi anderer Clans eingeladen. Und die misstrauen einander viel zu sehr, als dass sie jemandem wie Cesare auf eine abgelegene Insel folgen würden. Nein, ich denke, er hat sich einen Ort irgendwo auf Sizilien ausgesucht. Ich muss nur noch herausfinden, welchen. Wenn ich erfahre, wo die Jagd stattfindet, kann ich versuchen, Iole dort rauszuholen.«
»Du allein?«
»Es reicht, wenn einer von uns sein Leben aufs Spiel setzt.«
»Wir brauchen Hilfe.«
»Von den anderen Clans? Kannst du
Weitere Kostenlose Bücher