Arkadien 01 - Arkadien erwacht
sie sich nicht wie eine Verräterin fühlte, obgleich sie gerade die Todsünde aller Mafiosi beging und sich heimlich mit einer Vertreterin des Gesetzes traf. Tausende waren in der Geschichte der Cosa Nostra dafür hingerichtet worden, mit Genickschüssen und Messerstichen; ihre Leichen waren im Meerversenkt, in Beton gegossen oder in Säurefässern aufgelöst worden.
Das hier war ein Spiel mit hohem Einsatz und sie war sich dessen bewusst. Wenn sie etwas von der Richterin erfahren wollte, dann würde sie ihrerseits etwas anbieten müssen.
»Da draußen in der Stadt«, sagte Quattrini, »laufen wahrscheinlich ein halbes Dutzend Jungs rum, nicht älter als du, die von ihren capi den Auftrag bekommen haben, mich zu erschießen oder mit einer Bombe in die Luft zu jagen. Wir haben eine ganze Reihe getarnter Apartments wie das hier, in denen wir Aktionen vorbereiten und uns vor der Rache der Clans verstecken können. Aber erstens sind sie genau das: Verstecke – und wer verkriecht sich schon gern hinter zugezogenen Vorhängen und falschen Klingelschildern? Und zweitens sind es doch nicht so viele, dass wir mal eben grundlos auf eines davon verzichten könnten. Genau das aber werden wir tun müssen, wenn du uns wieder verlässt. Denn auch wenn ich dir weit genug traue, um dich hierherzubestellen, weiß ich doch nicht, ob dich nicht später irgendjemand dazu bringen könnte, diese Adresse auszuplaudern.« Die Richterin seufzte leise. »Was ich damit sagen will: Du kostest mich gerade eine meiner Tarnadressen, und ganz gleich, was du zu sagen hast, es sollte den Verlust besser wert sein. Also verschwende nicht unser aller Zeit mit dem, was du mir nicht erzählen willst. Warum bist du hier, Rosa?«
»Sie sagen, dass Sie mir trauen. Wieso?«
»Ich kenne deine Akte aus den USA. Ich habe jedes einzelne Verhörprotokoll gelesen – auch mit deiner Mutter, mit deiner Schwester, und die mit deinem Vater mehr als einmal. Ich kenne deine Vorgeschichte.« Sie ließ das Wort einsickern, als wollte sie, dass Rosa darüber nachdachte. »Du bist kein einfaches Kind gewesen und heute bist du wirklich kompliziert. Und weißt du was: Das gefällt mir. Nicht weil ich ein Faible für aufsässige Siebzehnjährige hätte. Sondern weil diemeisten Cosa-Nostra-Gören, mit denen ich es zu tun bekomme, Schwachköpfe sind. Aber du, Rosa, bist etwas Besonderes. Und der junge Mann, über den du nicht sprechen willst, ebenfalls. Nur dass er etwas im Schilde führt. Ihm zu vertrauen wäre eine große Dummheit, solange er alles daransetzt, selbst der nächste capo der Carnevares zu werden.«
Rosa lächelte freudlos. »Versuchen Sie ruhig, mich zu manipulieren. Das funktioniert nicht.«
Hinter ihr trat Stefania Moranelli einen Schritt nach vorn.
»Warum bist du hier?«, fragte Quattrini erneut.
Rosa gab sich einen Ruck. »Ich will mit einem Ihrer Kronzeugen sprechen. Einem Mann, der seit sechs Jahren im Zeugenschutzprogramm lebt. Im Austausch dafür liefere ich Ihnen Informationen über die Geschäfte meiner Tante Florinda Alcantara.«
Quattrini lachte. »Du weißt nichts über ihre Geschäfte. Ganz sicher nicht mehr als ich.«
»Aber im Gegensatz zu Ihnen kann ich ohne Genehmigung aus Rom in Florindas Arbeitszimmer gehen, eine Tasche mit Aktenordnern packen oder Dokumente kopieren und sie aus dem Haus schmuggeln.«
»Das würdest du tun?«
Rosa nickte. »Oder einfach Ihre Fragen beantworten, wenn ich es kann. Solange sie nicht Alessandro betreffen.«
»Wer sagt mir, dass du mich nicht nach Strich und Faden belügst? Oder dass Florinda selbst dich hergeschickt hat, um mir gefälschte Unterlagen unterzujubeln?«
Rosa lächelte kühl. »Würden Sie das für möglich halten, hätten Sie mir niemals diese Adresse gegeben.«
Hinter ihr stieß Antonio Festa ein leises Lachen aus und handelte sich einen finsteren Blick der Richterin ein.
»Ich weiß, dass ich eigentlich etwas Unmögliches verlange«, fuhr Rosa fort. »Ich weiß auch, was Zeugenschutz bedeutet. Falsche Namen, neue Gesichter. Und dass Sie ziemlichverrückt sein müssten, der Nichte einer Mafiachefin Zugang zu so jemandem zu verschaffen.«
Nun lächelte sogar die Richterin. Rosa fand es beunruhigender als ihre vorherige Ungeduld. »Von wem reden wir?«, fragte Quattrini sie.
»Augusto Dallamano.«
»Warum gerade er?«
»Das ist meine Sache.«
»Soweit ich weiß, hatten die Alcantaras nie mit den Dallamanos –« Sie unterbrach sich selbst, ihr Blick hellte sich auf. »Du
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