Arkadien 03 - Arkadien fällt
reicht. Glaubst du mir jetzt?«
»Ich versteh’s noch immer nicht«, sagte sie mit dampfendem Atem. »Warum die Vergewaltigung? Sigismondis hatte hier unten doch alle Möglichkeiten, um Lamien und Panthera künstlich zu kreuzen.«
Er schien das hier nicht für den richtigen Augenblick zu halten, um über dieses Thema zu sprechen. Trotzdem ließ er ihr ihren Willen, vielleicht um ihr zu zeigen, dass er ihre Gefühle respektierte. »Lange Zeit hatte er das Verbot, die beiden zu kreuzen, immer medizinisch betrachtet, rein rational. Aber schließlich hat er sich die Frage gestellt, ob die Überlieferung nicht doch wahr sein könnte. All das Gerede über den Willen der Götter. Du hast ihn ja erlebt – er hat nicht erst gestern den Verstand verloren. Plötzlich ging es nicht mehr darum, seine Theorie über die biologischen Ursachen eines Mythos zu erforschen – jetzt wollte er den Beweis für die Existenz der Götter erbringen!«
»Indem er alles getan hat, um gegen ihren Willen zu verstoßen?«, fragte sie tonlos, fast so steif gefroren wie der Tote.
»Er hat geglaubt, er könne sie herausfordern, indem er eine Lamia und einen Panthera auf natürlichem Weg zusammenbringt, nicht in einem Reagenzglas. Noch dazu zwei Arkadier, die hoch oben in der Erbfolge ihrer Clans standen: Tano und du. Du solltest von Tano schwanger werden – und dann würde sich zeigen, wie die Götter darauf reagieren. Ob sie reagieren. Ob es sie überhaupt gibt .«
Ein Gedanke regte sich in ihr. Noch jemand hatte versucht, diesen Beweis zu erbringen, nur auf andere Weise. Auf der Suche nach den Unsichtbaren, die all die historischen Katastrophen verursacht hatten. Den Löchern in der Menge. Sie hatte das Gefühl, dass der Kreis sich bald schließen würde – doch etwas fehlte noch. Ein letztes Bruchstück.
Wieder ballte sie die Faust um die gefrorenen Falten der Plane, so fest, als wollte sie die Hand in den Brustkorb des Toten graben, um ihm das eiskalte Herz herauszureißen.
»Egal, was du jetzt tust«, sagte er, »es wird nichts mehr ändern.«
Ganz langsam nickte sie. Dann ließ sie zu, dass er sie ein Stück in Richtung Vorhang führte. Sie ging rückwärts, ohne die Leiche aus den Augen zu lassen.
»Komm hier weg.« Er sprach mit ihr wie mit einem Kind. Seinem Kind. »Hier ist es zu kalt. Apollonio ist tot. Und wir sind wieder zusammen. Gemeinsam können wir die Alcantaras –«
Mit einem Ruck riss sie sich los und eilte zurück zu dem Toten. Diesmal packte sie die Plane am oberen Rand. Es war, als wollte sie ein festgenageltes Brett von der Leiche lösen, aber sie versuchte es dennoch mit nur einer Hand, zerrte daran, so fest sie nur konnte.
»Tu das nicht!«
Die gefrorene Abdeckung hatte die Konturen des Körpers nachgebildet wie eine Kuchenform. Winzige Risse bildeten sich in der Eisschicht, dann gab die Plane nach.
Und Rosa sah, was darunter war.
»Rosa …« Er stand wieder hinter ihr.
Sie fuhr zu ihm herum und blickte in seine Augen. Fand darin eine stumme Bitte, nichts Böses, nur Erschöpfung und ein Flehen.
Sie hob bebend die linke Hand und berührte seine Wange, ließ die Finger in seinen Nacken wandern, zog ihn auf sich zu. Ihr Kopf tat weh, ein plötzliches Stechen von allen Seiten.
»Du willst einen Beweis für Gott?«, flüsterte sie.
Dann schoss sie ihm aus nächster Nähe in den Bauch.
Nathaniel
E r schrie und heulte, aber sie stellte sich taub.
Während er sich am Boden wand, blickte sie zurück zur Liege und zu dem Toten. Auf der linken Brustseite prangte ein grober Schnitt. Jemand hatte sein Herz entnommen und den Körper wieder geschlossen, ohne sich große Mühe zu geben. Unter der weißen Haut zeichnete sich ab, wo Teile der Rippen entfernt worden waren. Man hatte die Öffnung nicht genäht, sondern die Ränder zusammengetackert.
Rosa berührte die Stelle voller Zärtlichkeit. Er fühlte sich nicht mehr an wie jemand, der einmal gelebt, gelacht, der sie geliebt hatte. Aber sie wusste, dass er es war. Davide Alcantara, ihr Vater.
Vorsichtig hob sie die Plane auf und breitete sie wieder über ihn, versuchte, auch das Gesicht abzudecken, aber dafür war das Material zu steif.
Apollonio lag gekrümmt auf den weißen Fliesen, hatte ein Bein angewinkelt, während er mit dem anderen in spastischem Zucken um sich trat. Er presste beide Hände auf die Wunde. Rosa hatte gehört, dass kaum etwas so wehtat wie ein Bauchschuss, und sie stellte mit Befriedigung fest, dass seiner keine Ausnahme war. Er
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