Arkadien 03 - Arkadien fällt
er musste von ihm gehört haben. Von seinem Geschick mit Worten – und seiner Schwäche, über das Ziel hinauszupreschen.
Alessandro ließ sich nicht beirren. »Ihr wollt das Konkordat an Lykaons Grab erneuern, stattdessen stehen wir hier oben. Nichts von damals existiert mehr, nicht mal mehr ein Haufen Steine. Arkadien ist zu Staub zerfallen.« Er pokerte, und das konnte schiefgehen. Aber sie hatten nichts mehr zu verlieren.
Der Hungrige Mann gab den Wächtern hinter Rosa und Alessandro ein Zeichen, und ehe sie sich wehren konnten, wurden ihnen abermals Injektoren in die Oberarme gestoßen. Dann trat der wiedergeborene Lykaon an die Brüstung und winkte sie zu sich.
»Kommt zu mir.«
Rosa und Alessandro tauschten einen Blick, dann folgten sie ihm. Ihre Bewacher blieben hinter ihnen, rührten sie aber nicht wieder an.
Das Geländer war kalt, als Rosa beide Hände darauflegte. Ihr war schwindelig, womöglich wegen der Überdosis des Serums. Der Blick in die Tiefe machte es noch schlimmer.
Sie befanden sich hundertfünfzig Meter über dem Felsboden. Rosa hatte schon einmal hier gestanden, mit Zoe, vor fast fünf Monaten. Damals hatte sich unter ihnen die glitzernde Oberfläche des Stausees bis zu den schroffen Berghängen erstreckt. Heute zog sich nur ein Rinnsal in weiten Kurven durch eine finstere Steinwüste. Die Sonne war mittlerweile hinter dem Bergkamm verschwunden. Aus Spalten im Fels schien Dunkelheit aufzusteigen.
Die Ruinen des Dorfes Giuliana lagen am Fuß der mächtigen Staumauer. Der Ort kauerte im Schatten des Betonwalls, eine Ansammlung von geduckten Gebäuden. Ein paar Dächer waren unter dem Druck der Wassermassen eingestürzt, aber viele hatten standgehalten. Straßen und Wege waren zu erkennen, ein paar Stahlgerippe zurückgelassener Traktoren und Landmaschinen. Von hier oben erschien alles pechschwarz, als wäre das gesamte Tal mit Teer überzogen worden. Ein Gestank wie von totem Fisch wehte aus dem Abgrund herauf.
»Mein Vater hat das Tal unter Wasser gesetzt, damit niemand das Grabmal für ein neues Konkordat missbrauchen kann«, sagte Alessandro leise, so als wollte er beweisen, dass nicht alles schlecht gewesen war, was der Baron getan hatte. Rosa tastete auf der Brüstung nach seiner Hand.
Der Hungrige Mann löste seinen Blick von den Gebäudegerippen am Talgrund und sah von der Seite zu ihnen hinüber. »Glaubt ihr das wirklich? Dass er und Cesare den Staudamm deshalb errichtet haben?« Seine Stimme klang fast mitleidig.
Alessandro wertete seinen Tonfall als Herablassung. »Welchen Grund sollten sie sonst gehabt haben?«
Rosa musste sich ein Stück über den Abgrund beugen, um an Alessandro vorbei zum Hungrigen Mann zu blicken.
»Mit einem hast du Recht gehabt«, sagte der neue Führer der Dynastien. »Die Ruinen des antiken Arkadien sind zerfallen. Lykaons Grab, damals das größte Bauwerk des Reiches, vielleicht der ganzen Welt, wer weiß das schon … Lykaons Grab war nur noch eine Erinnerung. Aber Erinnerungen kann man auffrischen. Selbst die größten Bauten kann man ein zweites Mal errichten, auf den Trümmern der Vergangenheit. Und wenn man etwas von solcher Größe erbauen will, dann geschieht das heutzutage unter den Augen der Öffentlichkeit. Deshalb war es nötig, das Monument als etwas anderes auszugeben. Ebenso groß, ebenso gewaltig wie einst. Ein Denkmal zu Ehren des untergegangenen Arkadien, aber eines, das nur jene erkennen können, die um das Geheimnis wissen.«
Alessandros Augen verengten sich. Seine Hand ballte sich unter Rosas Fingern zur Faust. »Das ist eine Lüge.«
»Du hast geglaubt, dieser Damm sei errichtet worden, um Giuliana vor mir zu verbergen? Bis vor kurzem habe ich das Gleiche gedacht. Die Wahrheit aber ist: Dein Vater und Cesare haben ihn gebaut, um selbst eines Tages nach der Macht zu greifen. Dieser Staudamm ist ein Altar. Der Altar, auf dem das Opfer zur Besiegelung des neuen Konkordats gebracht werden soll. Er ist eine Kulisse. Eine Maskerade wie alles, hinter dem sich das Erbe Arkadiens viel zu lange verstecken mussten. An dieser Stelle, in diesem Tal haben die Arkadier einst das Grab ihres Königs erbaut, und Leonardo Mori hat diesen Ort wiederentdeckt. Er hat es in meinem Auftrag getan, aber dein Vater und sein Berater haben ihn ermorden lassen und einen Teil seiner Forschungsergebnisse an sich gebracht. Und sie haben ein zweites Heiligtum errichtet, um eines Tages darauf die Dynastien zu vereinen.«
Der Hungrige Mann trat einen
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