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Arkadien 03 - Arkadien fällt

Arkadien 03 - Arkadien fällt

Titel: Arkadien 03 - Arkadien fällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sie Alessandro mit einem Blick um Verzeihung. Wie konnte etwas, das sie noch fester aneinander band, falsch sein?
    »Sie haben Städte im Meer versenkt, ganze Reiche vernichtet«, entgegnete Fundling. »Glaubst du wirklich, jeder Einzelne, der damals umgekommen ist, war schuldig? Zigtausende Kinder? Von denen hat keiner eine Brücke oder einen Tempel gebaut oder irgendeinen Frevel begangen. Dass sie euch beiden eine Chance geben, muss einen anderen Grund haben.«
    Um sie herum bewegte sich etwas. Als würde sich die Schwärze auf rätselhafte Weise verdichten und noch undurchdringlicher werden. Dann begriff sie, dass es nichts mit Hell oder Dunkel zu tun hatte. Die Leere des weiten Tals schien mit einem Mal ein körperliches Gewicht zu besitzen. Es gab keine Worte dafür, nur Empfindungen, die sich auf ihre Brust legten und ihr den Atem nahmen.
    Das Knurren des Hungrigen Mannes wurde lauter und da erkannte sie, dass es nie ein Ausdruck von Aggression gewesen war, sondern panische Furcht. Er scharrte mit den Hinterläufen im Dreck, als wollte er sogar noch sterbend die Flucht ergreifen.
    Auch Alessandro schien die Veränderung zu spüren. Er trat näher heran und legte einen Arm um Rosa.
    »Was meinst du mit Opfer?«, fragte er Fundling.
    Der humpelte zu seinem Wagen, öffnete die Beifahrertür und hob etwas vom Sitz. Mondlicht blitzte auf scharfem Metall.
    »Ihr müsst euch beeilen.«
    Dann erklärte er ihnen, was sie zu tun hatten.

Kreta
    A uf den letzten Kilometern wurden sie noch schneller. Alessandro lenkte den Mietwagen um enge Kurven ohne Leitplanken, vorbei an Abgründen zwischen kargen Steinhängen. Hier wuchs nichts außer niedrigem Buschwerk und vereinzelten Bäumen, deren Kronen sich windgepeitscht verbeugten, als nähme dann und wann noch immer ein Gott diesen Weg ins Idagebirge.
    Rosa saß auf dem Beifahrersitz, eine Karte von Kreta auf dem Schoß. Die Straßen und Symbole verschwammen vor ihren Augen. So früh im Jahr war es hier noch nicht heiß, das Thermometer zeigte fünfzehn Grad. Trotzdem kam es ihr im Wagen vor wie in einem Backofen.
    Sie hatte die Knie angezogen und die Füße gegen das Handschuhfach gestemmt. Auf der Gummimatte vor ihrem Sitz stand eine blau-weiße Kühlbox. Ihre Beine hätten noch danebengepasst, aber wenn ihre Waden das Plastikgehäuse berührten, spürte sie ein leichtes Vibrieren, das ihr zutiefst zuwider war.
    Ihre Vernunft hätte ihr sagen müssen, dass der Grund für das Rumoren nur die elektrische Kühlung war; ein Kabel führte von der Tasche zum Zigarettenanzünder neben der Handbremse. Doch ihre Vernunft hatte sie vor über vierzig Stunden in einem dunklen Tal auf Sizilien zurückgelassen, und nichts, aber auch gar nichts von dem, was sie hier taten, ließ sich mit rationalen Maßstäben erfassen.
    Während der langen Überfahrt, achthundert Kilometer über das offene Mittelmeer, hatten sie wieder und wieder alles rekapituliert. Erklärungen hatten sie keine gefunden. Und doch glaubten beide, dass Fundling die Wahrheit gesagt hatte – weil sie gespürt hatten, dass da wirklich etwas gewesen war, um sie herum in diesem Tal. Etwas, das nur in Menschenmengen sichtbar wurde, nicht aber in dieser weiten, leeren Ödnis.
    Die halsbrecherische Autofahrt durch das Gebirge war die letzte Etappe eines Rennens gegen – was eigentlich? Die Zeit? Ihre Einbildungskraft? Oder doch gegen den Zorn von etwas, das der Hungrige Mann mit ihrer unfreiwilligen Hilfe herausgefordert hatte?
    Aus Alessandros Versteck nahe Syrakus hatten sie Bargeld, neue Pässe, Kreditkarten für geheime Konten und gleich ein halbes Dutzend sichere Handys geholt. Dann hatten sie Kontakt zum Kapitän der Gaia aufgenommen.
    Innerhalb von drei Stunden war die Jacht bei ihnen gewesen. Die Behörden hatten das Schiff längst freigegeben; zuletzt hatte es unter anderem Namen und mit gefälschten Papieren vor der sizilianischen Küste gekreuzt. Zwar hielt die Polizei noch immer Ausschau nach Rosa und Alessandro, aber sie schien überzeugt zu sein, dass sie nach den Ereignissen in der Kirche das Land verlassen hatten. Offenbar wurden sie nicht mehr als Mörder, sondern als Zeugen gesucht, was Aufwand und Dringlichkeit der Fahndung beträchtlich verringert hatte. Stefanias Aussage, vielleicht sogar die von Lorenzo, hatte ihnen letztlich also doch noch geholfen.
    Auch von Seiten ihrer Familien drohte derzeit keine Gefahr. Diejenigen, die Alessandro verraten und den Umsturz veranlasst hatten, waren seit ihrer Flucht

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