Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arkadien 03 - Arkadien fällt

Arkadien 03 - Arkadien fällt

Titel: Arkadien 03 - Arkadien fällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
vom Staudamm spurlos verschwunden. Ebenso Rosas Großcousinen und alle anderen, die am Ritual des Hungrigen Mannes teilgenommen hatten. Womöglich hatten sie sich abgesetzt, bevor die Bilder vom Staudamm am Morgen im Fernsehen ausgestrahlt worden waren. Oder aber das, was unten im Tal gewesen war, hatte sie geholt.
    Gewiss, eine Rückkehr der beiden an die Spitzen ihrer Familien war vorerst ausgeschlossen. Doch all jene, die Alessandro treu ergeben waren, Männer wie der Kapitän der Gaia , konnten sich nun wieder frei bewegen, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen. Rosa hatte Zweifel gehabt, aber Alessandro vertraute dem Kapitän vorbehaltlos. Zu Recht, wie sich gezeigt hatte, als sie ungehindert mit der Gaia die Hafenstadt Heraklion auf Kreta erreicht hatten.
    Von dort aus waren sie im Mietwagen nach Süden gefahren, vorbei an Thylissos, an menschenleeren Hügelketten und Olivenhainen, die fast schmerzlich an Sizilien erinnerten. Einer tiefen Schlucht folgten sie ins Idagebirge und rasten auf schmalen, kurvigen Straßen in Richtung Anogia. Die Hänge und Täler wurden karger, graues Gestein beherrschte die Bergwelt. Schafe und Ziegen überquerten gemächlich die Straße, mehrfach entging Alessandro Zusammenstößen nur durch eine Vollbremsung. Einmal fiel dabei die Kühltasche um. Rosa quittierte es mit einer Flut von Flüchen, um sie dann widerstrebend und mit spitzen Fingern wieder aufzurichten.
    Der erste Blick auf die Nida-Hochebene, weit oben im Gebirge und kurz vor ihrem Ziel, war eine Überraschung. Inmitten farbloser Bergkämme öffnete sich ein fruchtbares Plateau, auf dem vereinzelt Viehherden grasten. Ein paar ausgefahrene Wege kreuzten sich verloren in der Weite der Ebene.
    Es wurde bereits dunkel, als sie vor einem heruntergekommenen Gebäude das Ende der asphaltierten Fahrbahn erreichten, einer Taverne mit geschlossenen Fensterläden. Während der vergangenen Stunde waren ihnen nur zwei Autos entgegengekommen. Die Taverne war verlassen – sie wurde wohl nur im Sommer geöffnet –, aber davor gab es einen Parkplatz und ein Schild für Wanderer, das einen Schotterweg hinaufwies. Menschen oder Fahrzeuge waren nirgends zu sehen.
    Sie stellten den Wagen ab und stiegen aus. Aus der Ferne drang das Läuten von Ziegenglöckchen heran, irgendwo schrie ein Raubvogel. Bald darauf schwebte ein Habicht auf der Jagd nach Mäusen über sie hinweg.
    Alessandro nahm die Tasche mit ihrer Ausrüstung aus dem Kofferraum, Rosa stöpselte die Kühlbox aus. Das Plastik vibrierte noch immer, als sie sich auf den Weg machten. Akkus speisten die Elektronik. Rosa schauderte, sobald ihr Bein beim Gehen die Box berührte.
    Nur wenig später passierten sie eine kleine Kapelle in der Nachbarschaft einiger Gräber. Auch die ließen sie hinter sich und stiegen weiter bergauf. Nur ein einziges Mal blieben sie unterwegs stehen und schauten zurück. Von hier aus hatten sie eine fantastische Aussicht über die Hochebene. Über den fernen Karstbergen auf der anderen Seite der Nida glomm das letzte Tageslicht in Schattierungen von Karmesin, durchzogen von goldenen Schleiern.
    Sie hätten den Anblick der Ebene im Abendlicht genießen können, wäre es nicht gerade diese verfluchte Weite gewesen, die ihnen zu schaffen machte. Sie wussten nicht, ob ihnen etwas folgte, vielleicht ganz nahe bei ihnen war. Rosa wünschte sich an jeden anderen Ort, der voller Menschen war – den Times Square, die überfüllte Wartehalle der Grand Central oder ein Sportstadion. Menschen machten die Wächter sichtbar, diese Einöde dagegen tarnte sie mit Leere.
    Nach zwanzig Minuten erreichten sie eine Grotte am Fuß eines grauen Felsmassivs. Die Ideon Andron, die Idäische Höhle, lag hinter einer Öffnung im Gestein, die viel breiter war als hoch, so als wollte der Berg den Zugang allmählich mit seinem Gewicht erdrücken. Der Schienenstrang einer alten Lorenbahn, teilweise von Unkraut überwuchert, endete am Rand einer steil abfallenden Geröllschräge.
    Niemand war zu sehen. Es gab keine Sperren, keine Bewacher. Sie standen ganz allein vor dem großen Felsschlund, Rosa mit der Kühlbox in der Hand, Alessandro mit der Tasche, in der sich zwei Handstrahler und andere Utensilien befanden.
    Rosa spürte selten Anwandlungen von Ehrfurcht, aber dieser Ort flößte ihr Respekt ein. Sie schämte sich nicht länger dafür, an etwas zu glauben, das sie noch vor kurzem als Legende abgetan hätte.
    Steigt hinunter in die Höhle , hatte Fundling gesagt. Nur ihr

Weitere Kostenlose Bücher