Arkadien 03 - Arkadien fällt
sich und sah den Wolf am Boden reglos an.
»Was jetzt?«, fragte sie leise.
Der Panther rührte sich nicht, saß nur da wie eine Statue. Erwartete er von ihr eine Entscheidung? Sie brachte es nicht über sich zu schießen, nicht solange der Hungrige Mann als hilfloses Tier vor ihr lag.
Vielleicht ahnte er, dass er als Wolf ihr Mitleid erregte, und verwandelte sich deshalb nicht zurück. Möglicherweise war er auch nur zu schwach.
»Ich kann das nicht«, flüsterte sie Alessandro zu, während sie zusahen, wie sich die verbrannte Seite des Wolfes hob und senkte. Ebenso gut hätte sie sagen können: Ich will das nicht. Nicht so. Sie konnte nicht fassen, dass ausgerechnet er ihr leidtat. Fuck.
Oben auf dem Staudamm war Bewegung in die Journalistenteams gekommen. Vorhin hatten sie aufgereiht an der Brüstung gestanden, eine Lichterkette am Geländer. Jetzt erkannte Rosa ein Scheinwerferpaar, das sich den Berghang herabquälte, wahrscheinlich auf der alten Straße, die früher nach Giuliana geführt hatte.
»Glaubst du, hier sind noch andere?«, fragte sie, ohne den Wolf aus den Augen zu lassen oder die Pistole zu senken. Noch immer hatte sie das Gefühl, als würden sie beobachtet.
Der Panther deutete etwas an, das einem Kopfschütteln nahekam.
Auch sie nahm nicht ernsthaft an, dass weitere Arkadier in der Nähe waren. Manche mochten in ihren Wagen geflohen sein, andere zu Fuß; sie hatten einen langen Fußmarsch vor sich, ob nun als Mensch oder Tier. Vermutlich planten die ersten bereits ihr Exil im Ausland.
Der Wolf hob den Kopf und versuchte in ihre Richtung zu blicken. Ein frischer Blutschwall quoll über seine Lefzen, sein riesiges Gebiss war dunkelrot. Gleich darauf sackte sein Schädel zurück auf den Boden.
Das Scheinwerferpaar kam näher. Auf der Staumauer setzten sich weitere Wagen in Bewegung, aber es würde dauern, bis auch sie eintrafen. Rosa ahnte, wer in dem Fahrzeug saß, das gerade den Talboden erreichte.
Der Atem des Wolfes wurde unregelmäßiger. Das Zittern ließ nach.
Der kleine weiße Wagen war nicht für diesen Untergrund gebaut, aber irgendwie gelang es Fundling, das Dorf zu erreichen. In der Nähe der Absturzstelle hielt er an und öffnete die Fahrertür.
Rosa rief ihn und winkte, auch wenn er sie in der Dunkelheit womöglich nicht sehen konnte. Aber er hörte sie, wendete das Auto und fuhr holpernd in ihre Richtung. Als die Scheinwerfer sie erfassten, verwandelte sich Alessandro gerade zurück in einen Menschen. Er zog Hose und Hemd über und schlüpfte in seine Schuhe, während Fundling den Wagen zum Stehen brachte.
Rosa drückte Alessandro die Pistole in die Hand und eilte zu Fundling, um ihm beim Aussteigen mit den Krücken zu helfen. Er lächelte, strich ihr über das wirre Haar und humpelte auf Alessandro zu. Sie wechselten kein Wort, aber Rosa kamen sie nun vor wie Brüder, die sich auch ohne langes Reden verstanden.
Unverständliche Laute kamen aus dem Maul des Wolfes. Noch einmal hob er den Schädel, und diesmal behielt er ihn lange genug oben, um Fundling zu erkennen. Ein Knurren drang aus seiner Kehle.
Der Konvoi der Journalisten schlängelte sich den Hang hinunter. In der Finsternis war der brennende Helikopter ihr einziger Anhaltspunkt. Was weiter draußen im Dunkeln vorging, konnten sie unmöglich sehen.
»Es gibt noch was, das ihr tun müsst«, sagte Fundling.
Fragend sah sie ihn an.
»Eine Reise«, sagte er. »Und ein Opfer.«
Sie schüttelte verständnislos den Kopf. Das Knurren des Wolfes brach nicht ab, auch wenn er sich kaum noch bewegen konnte.
Alessandro hielt die Pistole auf den Wolf gerichtet. »Wegen dem, was du vorhin gesagt hast?«
»Sie sind hier.« Fundling nickte. »Und sie warten ab, was ihr tut.«
»Was wir –«
»Ihr habt gegen ihre Gesetze verstoßen. Alle, die oben auf dem Staudamm waren, haben das getan.«
Rosa starrte Alessandro an, dann wieder Fundling. »Aber das ist –« Sie brach ab, als ihr klar wurde, dass die beiden es auch spürten. Blicke aus der Dunkelheit. Als wären da andere in ihrer Nähe.
»Kannst du mit ihnen sprechen?«, fragte sie zögernd.
Fundling schüttelte den Kopf. »Sie haben die Arkadier schon einmal bestraft und ich glaube, sie werden es wieder tun. Aber so, wie es Rituale gibt, die gegen ihre Gesetze verstoßen« – er nickte hinauf zur Staumauer –, »gibt es auch welche, die Unrecht wiedergutmachen können.«
»Unrecht?«, rief Rosa entrüstet. »Der Bastard hat uns dazu gezwungen!« Dabei bat
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