Arkadien 03 - Arkadien fällt
Hubschrauber eine enge Kurve und geriet ins Trudeln.
Über der Straße drehte sich die Maschine um sich selbst, kippte, fing sich wieder und verfehlte knapp das gegenüberliegende Geländer. Im Gleißen mehrerer Blitzlichter und Autoscheinwerfer sackte der Hubschrauber ab, sein Rotor streifte fast den Beton, dann drehte er sich kreiselnd um die eigene Achse.
Rosa und Alessandro liefen zur Brüstung, sahen die Maschine rotieren und auf den Talgrund und die Ruinen Giulianas zusinken.
Fundling humpelte auf Krücken heran, ließ sich neben ihnen gegen das Geländer fallen und durchschnitt mit dem Messer Rosas Fesseln. Sie drückte ihm einen Kuss auf die stoppelige Wange.
»Danke«, sagte sie und fand, dass das ein viel zu schwaches Wort war für alles, was sie empfand. Dann nahm sie die Klinge aus seiner Hand und befreite Alessandro.
Der Helikopter schwirrte noch immer wie ein betrunkenes Insekt durch die Nacht, dem Felsboden und den verlassenen Häusern entgegen. Zahlreiche Journalisten und Kameraleute beugten sich über das Geländer, ein gutes Stück von den dreien entfernt, während die letzten Arkadier die Gelegenheit nutzten, das Weite zu suchen.
Alessandro wartete nicht auf den Aufschlag. Er bückte sich nach einer Waffe, die einem ihrer Bewacher gehört hatte, und steckte sie sich in den Hosenbund. Er dankte Fundling mit einer festen Umarmung und ergriff Rosas Hand. Gemeinsam liefen sie los.
Alle Kameras waren auf den unvermeidlichen Absturz gerichtet, als die beiden am Transporter vorbeirannten und den Betonklotz am Rand der Fahrbahn erreichten. Graffiti war unbeholfen quer über eine Metalltür und die graue Wand gesprüht worden.
Es überraschte Rosa nicht, dass der Eingang zum Staudamm Spuren von Stemmeisen aufwies – die Leute des Hungrigen Mannes mussten das Innere überprüft haben, bevor die Versammlung begonnen hatte.
Hastig schlüpften sie hinein. Als Alessandro einen Schalter berührte, flackerten unter der Decke Neonröhren auf und beschienen ein aschfarbenes Treppenhaus. Rosa warf die Tür zu und verkeilte das Messer darunter.
Bevor sie losliefen, zog sie ihn an sich und sah ihm in die Augen. »Sie dürfen die Braut jetzt küssen.«
Seine Lippen waren fest und trocken. Sie würde nie genug davon bekommen.
Draußen erklang ein dumpfes Krachen. Zugleich erstarb der Rotorenlärm.
Lykaon
D as Treppenhaus war fensterlos und wollte kein Ende nehmen. Immer wieder gab es Türen, die ins Innere der Anlage führten, doch Rosa und Alessandro stürmten daran vorbei, ohne auch nur eine zu öffnen. Ihr Atem ging schneller, ihre Gelenke schmerzten von den vielen Sprüngen, mit denen sie mehrere Stufen auf einmal nahmen. Rosa hatte ihr Zeitgefühl verloren. Die Höhe des Staudamms musste rund fünfzig Stockwerken entsprechen, aber eine Nummerierung der Etagen gab es nicht. Nach jeder Treppenbiegung wartete schon die nächste und dann noch eine und noch eine.
Nach einer Ewigkeit kamen sie unten an, ausgelaugt und schwindelig. Beide mussten sich an der Wand abstützen, bis der Untergrund nicht mehr zu schwanken schien und sie ihren Weg fortsetzen konnten, ohne dass ihre Füße bei jedem Schritt nach der nächsten Stufe suchten.
Im Erdgeschoss gab es nur eine Tür, ein rechteckiges Schott mit einem Metallrad in der Mitte. Dahinter lag eine Schleuse, deren Ausgang von einer weiteren Stahltür verschlossen wurde. Das Rad daran klemmte, aber gemeinsam gelang es ihnen, es in Bewegung zu setzen; der fehlende Wasserdruck musste die automatischen Sperren schon vor Tagen gelöst haben. Mit einem Knirschen ließ sich das Schott nach außen drücken.
Vor ihnen lag eine Betonplattform, halb von Sand und Geröll verschüttet. Jenseits davon breitete sich der Boden des ehemaligen Stausees aus.
Sie traten hinaus in die Finsternis. Der Mond stand hinter ihnen auf der anderen Seite des Staudamms, ein breiter Streifen am Fuß der hohen Betonwand lag in tiefem Schatten. Sie hätten halb blind nach den Ruinen des Dorfes suchen müssen, wäre da nicht der brennende Helikopter gewesen. Vor dem lodernden Feuer hoben sich die Umrisse der Häuser ab.
Seit ihrer letzten Injektion war mehr als eine Viertelstunde vergangen, aber beide behielten ihre menschliche Gestalt bei. Alessandro reichte Rosa die Pistole. »Falls ich mich schnell verwandeln muss«, sagte er.
Ihr lag ein Widerspruch auf den Lippen, aber dann nahm sie die Waffe stumm entgegen und behielt sie während des restlichen Weges in der Hand. Gemeinsam verließen
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