Arkadien 03 - Arkadien fällt
willst zu diesem Hotel. Nach Agrigent. Und dann?«
»Er hat versucht mehr über seine Eltern und ihre Ermordung herauszufinden.« Rosa senkte die Augen, befeuchtete sich die Lippen mit der Zungenspitze und suchte wieder seinen Blick. »Das Mindeste, was wir tun können, ist, seinen wahren Namen auf sein Grab zu schreiben.«
Das Geschenk
I m Morgengrauen hielten sie unweit eines Dorfes. Bis nach Agrigent und zur Küste waren es keine fünfzig Kilometer mehr, aber sie wollten außerhalb der Stadt eine Pause einlegen. Einer der Rastplätze an der Schnellstraße 640 kam nicht in Frage; zu viele Menschen, zu viele Blicke. Darum waren sie abgebogen und ein Stück hinauf in die Hügel gefahren. Jetzt stand der Volvo am Rand eines Olivenhains, die vorderen Türen waren geöffnet. Ein paar Meter entfernt lauschte Rosa gedankenverloren dem Zirpen der Zikaden. Auf hellen Felsbrocken erwarteten Eidechsen den Sonnenaufgang.
Sie kniete am Ufer eines schmalen Bachs, der sich zwischen Büschen den Hang herabwand. Mit beiden Händen schöpfte sie Wasser heraus und tat ihr Bestes, sich zu waschen. In Filmen sah das romantisch aus; in Wirklichkeit war es nur unbequem, kalt und sehr weit entfernt von dem, was sie unter Hygiene verstand. Sie hatte gewiss keinen Waschzwang, aber Zahnbürste und Seife klangen neuerdings nach unerreichbarem Luxus.
Alessandro war ins Dorf gegangen, nur ein paar Hundert Meter den Hügel hinunter, um Frühstück zu besorgen. Mit etwas Glück gab es dort einen Lebensmittelladen, der bereits geöffnet hatte. Ihr einziges Geld stammte aus dem Portemonnaie, das er in Festas Lederjacke gefunden hatte, knapp hundertfünfzig Euro. Eine Weile würden sie damit auskommen müssen.
Sie rubbelte mit dem blanken Zeigefinger und klarem Wasser auf ihren Zähnen herum, gurgelte ausgiebig und wusch sich den Schlaf aus den Augen. Irgendwann in der Nacht war sie für eine Weile eingenickt, nachdem Alessandro sich standhaft geweigert hatte, sie ans Steuer zu lassen.
Jetzt ertappte sie sich dabei, dass sie immer wieder den Himmel nach Raubvögeln absuchte. Die grauen Wolken schienen wie Gewichte auf sie herabzudrücken. Jeder Vogelschrei ließ sie zusammenfahren. Die drastischen Beschreibungen vom Tod der Moris machten ihr mehr zu schaffen, als sie wahrhaben wollte.
Beim Aufstehen verhedderte sie sich mit ihrem zerrauften Haar in ein paar Zweigen. Schließlich verlor sie die Geduld, riss sich los und ließ eine blonde Haarsträhne an einem Strauch zurück. Sie war schon wieder unterwegs zum Auto, als sie es sich anders überlegte, zurückging und die losen Haare aus den Ästen entwirrte.
Das Schlimmste war, dass sie nicht sicher sein konnten, wer sie jagte. Das Bild Dutzender Raubkatzen, die auf der Suche nach ihnen über die Hügel schwärmten, tauchte vor ihren Augen auf. Und die Panthera waren nicht die Einzigen, die es auf sie abgesehen hatten. Lamien gab es nur wenige auf Sizilien, aber Rosa hatte Verwandte im Norden, in Rom und Mailand und Turin, und vielleicht waren sie längst auf dem Weg hierher. Dann die Harpyien. Womöglich auch Hundinga, wie die Söldner des Hungrigen Mannes, die den Palazzo Alcantara in Brand gesteckt hatten.
Als sie sich wieder dem Wagen näherte, entdeckte sie Alessandro. Ein Stück weiter unten löste er sich aus dem Dickicht. Er trug einen hellgrünen Plastikbeutel in der Hand, unter seinem linken Arm klemmten zwei Wasserflaschen. Sie lief ihm entgegen und erreichte ihn auf halbem Weg, mitten auf dem struppigen Wiesenstreifen unterhalb der Olivenbäume.
»Hat dich jemand gesehen?«, fragte sie.
»Ich hab jeden erschossen, der mir auf der Straße begegnet ist.«
»Gut so.«
»Im Laden war nur die Kassiererin, und die war um die hundert, schwerhörig und halb blind. Draußen sind ein paar Arbeiter in einem Van vorbeigefahren, aber die haben mich nicht weiter beachtet.« Er hielt ihr die Tüte hin. »Brot, Käse und für die Vegetarier unter uns ein paar welke Salatblätter. Ein Messer, eine Tageszeitung – ich hab noch nicht reingeschaut, aber auf der Titelseite sind wir nicht.«
»Zahnpasta?«
»Wer braucht die?«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ab sofort keine Küsse mehr.«
»Kaugummi?«
»Keine Chance.«
Er stellte die Plastikflaschen ab, kramte in der Tüte und zog eine Tube Colgate hervor.
Sie umarmte ihn. »Mein Held.«
Danach folgte eine Haarbürste. »Für Mädchen«, sagte er. »Pink mit Glitter.«
»Du kennst mich so gut.«
Er wühlte weiter. »Was
Weitere Kostenlose Bücher