Arkadien 03 - Arkadien fällt
mit der Finsternis über die See, unbeleuchtet, die Motoren gedrosselt, ein stählernes Ungetüm auf Schleichfahrt.
Rosa stand vor dem großen Fenster auf der Brücke und ließ den Blick über eine Reihe von Monitoren wandern. Verwackelte Bilder huschten darüber hinweg. Die Aufnahmen stammten von Kameras eines Hybridenkommandos, das sich unten im Schiff für den Einsatz auf der Insel fertig machte. Mirella war ein Mitglied des Trupps, ebenso der Hundemann. Blecherne Stimmen sprachen durcheinander, letzte Befehle wurden ausgegeben. Immer wieder knisterte es lautstark, wenn jemand ein Mikrofon justierte oder beim Anlegen der Ausrüstung dagegen stieß.
Die Besatzung auf der Brücke schien sich nicht an der Geräuschkulisse zu stören. Die Befreiungsschläge gegen geheime TABULA-Laboratorien liefen vermutlich nach einem ähnlichen Muster ab, jeder dieser Männer und Frauen mochte schon an solchen Einsätzen teilgenommen haben.
Mit einer Höchstgeschwindigkeit von fünfundzwanzig Knoten – nicht einmal fünfzig Stundenkilometern – hatte die Stabat Mater über einen halben Tag gebraucht, um die Isola Luna zu erreichen. Sie lag vor der Nordküste Siziliens, ein einsamer Klotz aus Lavagestein, auf dem nur zwei Gebäude existierten.
Das eine war die Villa, in die sich einst Alessandros Mutter zurückgezogen hatte. Sie stand auf einem kleinen Plateau oben im Hang, ein verschachtelter Flachdachbau mit weiß verputzten Wänden und zahlreichen Glasfronten. Sie war in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts errichtet worden und verströmte das psychedelische Flair eines Künstlerdomizils – ein Eindruck, der durch Gaias exzentrische Einrichtung noch verstärkt wurde.
Der zweite Bau war der alte Weltkriegsbunker unweit der Anlegestelle am Nordufer der Insel, ein grauer Betonkoloss, dessen wahre Ausdehnung im Inneren der Felsen von außen nicht zu erahnen war. Dort versteckten sich nun schon seit mehreren Tagen Iole und die beiden Frauen, vorausgesetzt, die Angreifer der Alcantara- und Carnevare-Clans hatten sie in den vergangenen Stunden nicht doch noch aufgestöbert.
»Seht euch das mal an«, sagte Danai.
Auf dem größten Schirm im Zentrum der Monitorwand erschien eine Satellitenaufnahme der Insel, Weiß auf Schwarz wie ein altes Fotonegativ. Die Höhenstrukturen wurden als graue Schattierungen wiedergegeben. Die Umrisse flimmerten, als wären sie aus Blitzen zusammengesetzt. Zudem gab es mehrere rote Punkte, die sich vor allem auf zwei Bereiche der Insel konzentrierten.
Danai bediente fast spielerisch eine Art Joystick, mit dessen Hilfe sie den Bildausschnitt regulieren konnte. Alessandro stand zwischen ihr und Rosa, die Arme verschränkt, eine Sorgenfalte über der Nasenwurzel. Im Hintergrund hantierten Männer und Frauen der Brückencrew an technischem Equipment.
Thanassis war in sein Krankenquartier zurückgekehrt. Den Befehl hier oben führte der Kapitän, ein hagerer Mann um die sechzig. Er trug keine Uniform, nur ein weißes Hemd und eine dunkle Hose. Seine Ausstrahlung war autoritär, seine Blicke schienen zu sagen: Ich habe genug von der Welt gesehen, um mich von ein paar Hundert Tiermenschen nicht aus der Fassung bringen zu lassen.
Die Wahrheit war zweifellos komplizierter. Jeden dieser Männer und Frauen musste ein ungewöhnliches Schicksal auf die Stabat Mater verschlagen haben, zumal darunter auch Menschen waren, nicht nur Hybriden. Rosa empfand eine merkwürdige Nähe zu ihnen. Sie alle waren Ausgestoßene.
»Wie viele sind es?«, fragte Alessandro, als Danai den Bildausschnitt auf dem Monitor vergrößerte. Der Zoom jagte sie im Sturzflug auf das nordöstliche Viertel der Insel herab. Die roten Flecken zerfielen in orange und gelbe Glutfunken.
»Fünf in der Villa und davor«, sagte Danai, »und noch einmal vier vor dem Bunker im Norden. Fünf weitere patrouillieren über die Insel. Das heißt, eigentlich bewegen sie sich die meiste Zeit über gar nicht, sondern sitzen wahrscheinlich auf irgendeinem Stein herum oder schlafen. Mit Schwierigkeiten scheinen sie nicht mehr zu rechnen.« Sie lächelte zufrieden. Angesichts ihrer Aufgabe hatte sie viel von ihrem ätherischen Auftreten verloren. »Ein Hubschrauber ist nirgends zu sehen, wahrscheinlich haben sie den schon abgezogen. Aber an der Anlegestelle liegen zwei Schnellboote und ein drittes haben wir an der Südseite in einer Bucht entdeckt.«
Der Strand. Dort hatte Rosa im vergangenen Oktober zum ersten Mal mit Alessandro die Isola Luna
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