Arkadien 03 - Arkadien fällt
hat der Hungrige Mann das Heiligtum gefunden?«, fragte Rosa, um Zeit zu gewinnen.
»Es gab jemanden, der für ihn recherchiert hat«, sagte Thanassis, »schon vor vielen Jahren. Ein Journalist ist damals auf die Spur der Arkadischen Dynastien gestoßen.«
»Leonardo Mori.«
»Ihr wisst Bescheid über ihn?«
Rosa nickte.
»Mori hat ursprünglich für ein Buch recherchiert«, erklärte der alte Mann. »Wir vermuten, dass er sich dabei zu weit vorgewagt hat. Für gewöhnlich wäre ein Schnüffler wie Mori einfach beseitigt worden, so wie Dutzende andere Journalisten, die ihre Nase zu tief in die Angelegenheiten der Mafia gesteckt haben. Aber dem Hungrigen Mann muss klar geworden sein, dass Mori sehr viel umfassenderes Wissen angehäuft hatte als alle vor ihm. Die Dynastien haben sich über Tausende von Jahren im Untergrund gehalten und kaum jemand hat versucht, ihre Geschichte zu rekonstruieren. Dabei muss es durchaus schriftliche Zeugnisse gegeben haben, in Archiven und Museen in Griechenland, Italien, vielleicht auch anderswo. Alles Arkadische ist immer der griechischen Antike zugeschrieben worden, und Mori war vielleicht der Erste, dem es gelungen ist, die Zeichen korrekt zu deuten. Er war auf der richtigen Fährte, und der Hungrige Mann hat beschlossen, Moris Wissen zu nutzen. Statt ihn zu töten, hat er ihm seine Unterstützung angeboten – im Austausch gegen alles, was Mori in Erfahrung bringen würde.«
»Dann hat mein Vater Mori nicht nur umbringen lassen, weil er zu viel wusste«, sagte Alessandro, »sondern auch, um den Hungrigen Mann zu schwächen?«
Rosa stimmte ihm zu. »Cesare und dein Vater haben gewusst, dass der Hungrige Mann ihnen die Schuld an seiner Verhaftung gegeben hat. Sie müssen die ganze Zeit über eine Heidenangst davor gehabt haben, dass er nach Sizilien zurückkehrt.«
»Interessant«, sagte Thanassis nachdenklich. »Dann geht Moris Ermordung auf das Konto der Carnevares? Das ergibt durchaus einen Sinn. Mori hat für den Hungrigen Mann die Lage von Lykaons Grab ausfindig gemacht, er muss Aufzeichnungen darüber besessen haben. Nach seiner Ermordung sind in seinem Hotelzimmer und in seiner Wohnung mehrere Kisten mit Papieren konfisziert worden. Aber ihre Spur verliert sich in den Asservatenkammern der Polizei. Nichts davon scheint mehr zu existieren, wir haben alle Hebel in Bewegung gesetzt. Ohne Erfolg.«
»Dann sind sie heute entweder im Besitz des Hungrigen Mannes«, sagte Rosa, »oder –«
»Oder wir haben sie«, murmelte Alessandro. »Möglich, dass Cesare die Sachen an sich gebracht hat, um zu verhindern, dass sie dem Hungrigen Mann in die Hände fallen.«
Thanassis’ Stimme bebte. »Dann gibt es vielleicht noch eine zweite Möglichkeit, das Grab zu finden. Wenn wir wüssten, wo Moris Archiv ist, und wir es auswerten könnten –«
Seine Tochter fiel ihm ins Wort. »Selbst wenn wir es finden, würden wir Tage brauchen, um die Sachen auch nur grob zu sichten. Mehrere Kisten voll Papier blättert man nicht in ein paar Minuten durch.«
»Ohne uns kann der Hungrige Mann seine Party nicht feiern«, sagte Rosa. »Solange wir hier sind, haben wir auch keinen Zeitdruck.«
Alessandros Blick verriet ihr, dass er nicht glücklich war über das, was sie da gerade versuchte. Er hätte es wahrscheinlich vorgezogen, die Diskussion rigoros zu beenden und nicht weiter auf Thanassis’ Vorhaben einzugehen. Und bis vor zwei Minuten hatte Rosa das genauso gesehen.
Jetzt aber sagte sie zu Thanassis: »Ich glaube, ich weiß, wo die Carnevares Moris Dokumente versteckt haben.«
Alessandro starrte sie an, eher besorgt als überrascht. Danai und der alte Mann warteten ungeduldig darauf, dass sie fortfuhr.
Rosa wurde ganz ruhig. Die Schlange war bei ihr und zum ersten Mal empfand sie ihre Nähe als beruhigend. Ihre Kaltblütigkeit kehrte zurück, das Gefühl, eine Situation beherrschen zu können. Letztlich war es wie Diebstahl – nur dass sie den anderen nicht die Geldbörsen raubte, sondern ihre Aufmerksamkeit.
»Wir können Ihnen den Weg dorthin zeigen«, sagte sie. »Aber im Gegenzug tun Sie etwas für uns.«
»Und das wäre?«, fragte Thanassis.
»Ich will, dass Sie jemanden retten.«
Sturm
D ie Abenddämmerung floss in düsterem Purpur um die Isola Luna. Der Vulkankegel hob sich schwarz vom Horizont ab, als hätte man einen Fetzen aus dem Panorama des letzten Tageslichts gerissen und die Nacht dahinter offenbart.
Die Stabat Mater näherte sich der Insel von Osten. Sie kam
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