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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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mei­sten Laien, aber auch viele Historiker gehen offen oder stillschweigend davon aus, daß die Antwort auf diese Frage ja lauten muß. So wird angenommen, die austra­lischen Aborigines hätten Grundeinstellungen gemein, die zu ihrer technischen Rückständigkeit beitrügen: Sie seien konservativ und lebten in ihrer Phantasie in ei­nem mystischen Schöpfungszeitalter, statt sich im Hier und Jetzt um die praktische Verbesserung ihrer Lebens­bedingungen zu kümmern. Ein prominenter Histori­ker und Afrikaforscher sagte einmal über die Afrikaner, sie seien nach innen gewandt und ließen jenen Ausbrei­tungsdrang vermissen, den die Europäer besäßen.
    Behauptungen wie diese sind pure Spekulation. Noch nie wurde eine vergleichende Untersuchung einer Viel­zahl von Gesellschaften mit ähnlichen sozioökonomi­schen Lebensbedingungen auf zwei Kontinenten durch­geführt, die als Ergebnis systematische Unterschiede in den Grundeinstellungen der jeweiligen Bewohner ans Licht förderte. Statt dessen beißt sich die Argumentati­on meist in den Schwanz: Aus der Existenz technischer Unterschiede wird auf entsprechende Unterschiede in den Werten und Einstellungen geschlossen.
    In der Realität beobachte ich in Neuguinea immer wie­der, daß sich die verschiedenen dortigen Gesellschaften in der Denkweise stark voneinander unterscheiden. Wie in Europa und Amerika existieren auch in Neuguinea konservative, jedem Wandel abholde Gesellschaften ne­ben innovativeren, die nach bewußter Auswahl Neues übernehmen. Ein Resultat dieser Vielfalt ist, daß die in­novationsfreudigeren Gesellschaften nach dem Eintref­fen der Europäer begannen, westliche Technik zu nut­zen, um die Oberhand über ihre konservativen Nach­barn zu erringen.
    Dazu ein Beispiel: Als die Europäer in den 30er Jah­ren dieses Jahrhunderts erstmals das Hochland im Osten Neuguineas erreichten, »entdeckten« sie mehre­re Dutzende steinzeitlich lebender Stämme, die noch nie Kontakt zu Weißen gehabt hatten. Von ihnen zeigte der Stamm der Chimbu eine besonders hohe Bereitschaft zur schnellen Übernahme westlicher Technik. Nachdem Chimbu-Stammesangehörige weiße Siedler beim Pflan­zen von Kaffee beobachtet hatten, wurden sie selbst zu Kaffeepflanzern und verkauften die Ernte gegen klin­gende Münze. Einmal, im Jahr 1964, begegnete ich ei­nem 50jährigen Chimbu, der nicht lesen konnte, noch den traditionellen Grasrock trug und in einer Zeit auf­gewachsen war, als der Gebrauch von Steinwerkzeugen in seiner Umgebung noch die Norm war. Er hatte es als Kaffeepflanzer zu Reichtum gebracht und von seinem Vermögen 100 000 Dollar in eine Sägemühle investiert; obendrein hatte er sich eine Lkw-Flotte zugelegt, um Kaffeesäcke und Baumstämme zum Markt transportie­ren zu können. Im krassen Gegensatz zu den Chimbu steht das benachbarte Hochlandvolk der Daribi, die ich acht Jahre lang studiert habe. Sie sind äußerst konser­vativ und interessieren sich so gut wie überhaupt nicht für neue Technik. Als zum erstenmal ein Hubschrau­ber im Gebiet der Daribi landete, warfen sie nur einen kurzen Blick darauf und wandten sich gleich wieder ab. Ich bin ziemlich sicher, daß die Chimbu sofort versucht hätten, über die Möglichkeit eines Probeflugs zu verhan­deln. Dieser Mentalitätsunterschied hat dazu geführt, daß die Chimbu mittlerweile auf das Land der Daribis vorrücken, dort Plantagen anlegen und die Daribi für sich arbeiten lassen.
    Auch auf jedem anderen Kontinent erwiesen sich be­stimmte Gesellschaften als besonders aufgeschlossen für Innovationen, übernahmen selektiv neue Techniken und integrierten sie erfolgreich in ihre Kultur. In Nigeria sind die Ibo das lokale Pendant zu den neuguineischen Chim­bu. Unter den nordamerikanischen Indianern sind heu­te die Navajo der zahlenmäßig größte Stamm. Bei der Ankunft der Europäer waren sie nur einer von mehreren hundert Stämmen, doch sie erwiesen sich als besonders robust und zeigten die Fähigkeit, die für sie geeigneten Innovationen geschickt auszuwählen. So übernahmen sie westliche Farbstoffe für ihre Webarbeit, wurden zu Silberschmieden und Ranchern und arbeiten heute als Lkw-Fahrer, ohne indes auf ihre traditionelle Wohnform zu verzichten.
    Selbst unter den angeblich so konservativen austra­lischen Aborigines gibt es neben erzkonservativen Ge­sellschaften auch innovations freundliche. Das eine Ex­trem bilden die Tasmanier, die Steinwerkzeuge noch Zehntausende von Jahren nach deren Ablösung

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