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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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in Eu­ropa verwendeten, als sie auch auf dem australischen Festland weitgehend außer Gebrauch gekommen wa­ren. Am anderen Ende des Spektrums finden wir Ab­origines im Südosten Australiens, die raffinierte Me­thoden zur Fischzucht entwickelten, die unter anderem den Bau von Kanälen, Wehren und speziellen Fischfal­len umfassen.
    Demnach gibt es zwischen den Gesellschaften ein und desselben Kontinents erhebliche Unterschiede in der Art und Anzahl von Erfindungen sowie der Einstellung zu ihnen. Außerdem kommt es im Laufe der Zeit innerhalb von Gesellschaften zu Veränderungen. So sind die isla­mischen Gesellschaften des Nahen Ostens heute relativ konservativ und bilden keineswegs die Speerspitze des technischen Fortschritts. Dagegen war der mittelalter­liche Islam in der gleichen Region technisch fortschritt­lich und innovationsfreudig. Der Alphabetisierungsgrad war dort in jener Zeit viel höher als in Europa, und das Erbe der klassischen griechischen Kultur wurde in ei­nem solchen Maße assimiliert, daß uns heute zahlreiche griechische Werke nur durch ihre arabischen Überset­zungen bekannt sind. Zu den islamischen Erfindungen von damals zählen raffinierte Windmühlen, die Trigo­nometrie und das Lateinersegel; große Fortschritte wur­den in der Metallverarbeitung, im Maschinenbau, in der Chemotechnik und im Bewässerungswesen gemacht; zu­dem wurden Papier und Schießpulver aus China über­nommen und nach Europa weitervermittelt. Im Mittel­alter verlief der Strom technischer Neuerungen eindeu­tig von islamischen Gegenden nach Europa und nicht, wie heute, andersherum. Erst ab ca. 1500 n. Chr. kehrte sich die Richtung langsam um.
    Auch in China änderte sich die Innovationsfreudig­keit im Laufe der Geschichte. Bis ca. 1450 n. Chr. war das Reich der Mitte technisch sehr viel innovativer und fort­schrittlicher als Europa, ja selbst als der mittelalterliche Islam. Die lange Liste der Erfindungen chinesischen Ur­sprungs umfaßt beispielsweise Achterruder, ausgeklügel­tes Geschirr für Zugtiere, Drachen, Drucktechnik (sieht man von der Scheibe von Phaistos ab), Gußeisen, Ka­nalschleusen, Magnetkompaß, Papier, Porzellan, Schub­karre, Tiefbohrung und verbessertes Schießpulver. Dann endete Chinas innovative Phase aus Gründen, über die wir am Ende des Buchs spekulieren werden. Westeuropa und seine nordamerikanischen Ableger stehen aus heu­tiger Sicht an der vordersten Front der technischen Ent­wicklung, obgleich das westliche Europa noch am Ende des Mittelalters technisch rückständiger war als alle an­deren »zivilisierten« Regionen der Alten Welt.
    Deshalb ist es falsch anzunehmen, daß es Kontinen­te mit eher innovativen Gesellschaften und solche mit eher konservativen gibt. Auf jedem Kontinent existier­ten zu jedem Zeitpunkt innovative neben konservativen Gesellschaften. Hinzu kommt, daß die Innovationsfreu­digkeit innerhalb einzelner Regionen im Laufe der Ge­schichte Schwankungen unterliegt.
    Bei Abwägung des Gesagten kommt man zu dem Schluß, daß auch nichts anderes zu erwarten wäre, wenn eine Vielzahl unabhängiger Faktoren die Innovations­freudigkeit einer Gesellschaft bestimmt. Ohne genaue Kenntnis all dieser Faktoren ist keine Vorhersage mög­lich. Sozialwissenschaftler forschen deshalb weiter nach den spezifischen Gründen, warum sich die Innovations­bereitschaft des Islam, Chinas und Europas änderte und warum die Chimbu, Ibo und Navajo gegenüber neuen Techniken aufgeschlossener waren als ihre Nachbarn.
    Bei der Suche nach dem groben Verlaufsmuster der Geschichte interessiert jedoch nicht, welches in jedem dieser Fälle die spezifischen Gründe waren. Paradoxer­weise macht die Vielzahl der Faktoren, die über die In­novationsfreudigkeit oder -feindschaft von Gesellschaf­ten entscheiden, dem Historiker die Arbeit leichter, er­halten doch die Unterschiede zwischen verschiedenen Gesellschaften so im Grunde den Charakter einer Zu­fallsvariablen. Demnach wird sich bei Betrachtung einer genügend großen geographischen Einheit (beispielsweise eines ganzen Kontinents) zu jedem beliebigen Zeitpunkt ein Teil der dortigen Gesellschaften mit hoher Wahr­scheinlichkeit als innovationsfreudig erweisen.
    Welchen Ursprung haben eigentlich Innovationen? Für die meisten Gesellschaften mit Ausnahme der wenigen, die in völliger Isolation existierten, lautet die Antwort hierauf, daß viele, wenn nicht gar die Mehrzahl neu­er Techniken nicht selbst erfunden, sondern von ande­ren

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