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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Gesellschaften übernommen wurden. Die relative Bedeutung lokaler Erfindungen, verglichen mit denen fremder Herkunft, hängt von zwei Hauptfaktoren ab: erstens, wie naheliegend die Erfindung einer bestimm­ten Technik war, und zweitens, wie weit die betreffende Gesellschaft räumlich von anderen entfernt war.
    Einige Erfindungen resultierten unmittelbar aus dem Umgang mit den Stoffen der Natur. Sie hatten viele un­abhängige Ursprünge an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeitpunkten der Geschichte. Ein Beispiel, das wir schon ausführlich behandelt haben, ist die Pflan­zendomestikation mit ihren mindestens neun unabhän­gigen Geburtsstätten. Ein weiteres ist die Töpferei, mög­licherweise entstanden aus der Beobachtung des Verhal­tens erhitzter und getrockneter Tonerde in der Natur. Die ersten Töpferwaren tauchten in Japan vor rund 14 000 Jahren auf, in Vorderasien und China vor rund 10 000 Jahren und später auch im Amazonasgebiet, in der afri­kanischen Sahelzone, im Südosten Nordamerikas und in Mexiko.
    Ein Beispiel für eine sehr viel schwierigere Erfindung ist die Schrift, zu der man nicht durch Beobachtungen in der Natur geleitet wird. Wie wir in Kapitel 11 sahen, hatte die Schrift nur sehr wenige unabhängige Entste­hungsorte, und wie es scheint, wurde das Alphabet sogar nur ein einziges Mal in der Geschichte erfunden. Andere schwierige Erfindungen waren beispielsweise das Was­serrad, die Handmühle, der Magnetkompaß, die Wind­mühle und die Camera obscura – alle wurden in der Al­ten Welt nur ein- oder zweimal und in der Neuen Welt überhaupt nicht gemacht.
    Derart komplexe Erfindungen wurden gewöhnlich von außen übernommen, da sie sich schneller ausbreiteten, als sie an verschiedenen Orten neu erfunden werden konnten. Ein gutes Beispiel ist das Rad, das erstmals für die Zeit um 3400 v. Chr. im Gebiet des Schwarzen Mee­res belegt ist und dann innerhalb der nächsten Jahrhun­derte an vielen Orten Europas und Asiens auftauchte. All diese frühen Räder der Alten Welt sind nach dem glei­chen Prinzip konstruiert: Es handelte sich um hölzer­ne Scheiben aus drei zusammengefügten Holzstücken, nicht etwa um eine Felge mit Speichen. Dagegen waren die einzigen Räder indianischer Kulturen, die uns von Darstellungen auf mexikanischen Tongefäßen bekannt sind, aus einem Stück Holz gefertigt, was auf eine zwei­te unabhängige Erfindung schließen läßt – wofür auch andere Erkenntnisse über die Isolation der Neuen Welt von den Zivilisationen der Alten Welt sprechen.
    Niemand käme auf die Idee, daß jene sonderbare Bau­weise des Rades in der Alten Welt nur zufällig im Ab­stand von wenigen Jahrhunderten an vielen verschie­denen Orten der Alten Welt auftauchte, nachdem der Mensch zuvor sieben Millionen Jahre lang radlos exi­stiert hatte. Vielmehr war es sicher so, daß sich das Rad aufgrund seiner Nützlichkeit rasch von dem einen Ort seiner Erfindung in verschiedene Richtungen ausbrei­tete. Andere komplizierte Techniken, die nach ihrer Er­findung im westlichen Asien den Weg in viele andere Teile der Alten Welt fanden, waren unter anderem das Türschloß, der Flaschenzug, die Handmühle, die Wind­mühle – und natürlich das Alphabet. Ein Beispiel aus der Neuen Welt ist die Metallverarbeitung, die sich von den Anden über Panama nach Mesoamerika ausbreitete.
    Wenn eine Erfindung von offensichtlichem Nutzen ir­gendwo auftaucht, breitet sie sich meist auf einem von zwei Wegen aus. Entweder erfahren andere Gesellschaf­ten von ihr, sind für sie empfänglich und übernehmen sie, oder die Gesellschaften, die nicht im Besitz der neuen Erfindung sind, verlieren gegenüber der Erfindergesell­schaft an Macht und werden von ihr unterworfen oder ausgelöscht, wenn die neu gewonnene Überlegenheit ent­sprechend groß ist. Ein anschauliches Beispiel für eine solche Entwicklung ist die Verbreitung von Musketen unter den neuseeländischen Maori-Stämmen. Um 1818 gelangte der Stamm der Ngapuhi in den Besitz von Mus­keten, die sie von europäischen Händlern erwarben. In den nächsten 15 Jahren wurde Neuseeland von den so­genannten Musketenkriegen erschüttert, in deren Ver­lauf musketenlose Stämme sich entweder ebenfalls in den Besitz von Musketen brachten oder von Stämmen, die bereits damit ausgerüstet waren, unterjocht wurden. Die Kriege führten dazu, daß sich die Muskete bis 1833 auf ganz Neuseeland durchgesetzt hatte: Alle überleben­den Maori-Stämme waren nun

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