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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Technik. Ohne Diffusion werden weniger Techniken erworben, und von den vor­handenen gehen mehr verloren.
    Weil Technik wieder neue Technik zeugt, ist die Dif­fusion einer Erfindung von potentiell größerer Bedeu­tung als die Erfindung selbst. Die Geschichte der Tech­nik ist ein Beispiel für einen autokatalytischen Prozeß, das heißt einen Prozeß, dessen Tempo sich immer wei­ter beschleunigt, weil er sich selbst als Katalysator dient. Wir staunen heute über die rasante Entwicklung des technischen Fortschritts seit der industriellen Revoluti­on. Nicht minder eindrucksvoll war aber die Beschleu­nigung des technischen Fortschritts im Mittelalter, ver­glichen mit seiner Beschleunigung in der Bronzezeit, die wiederum seine Beschleunigung in der Jungsteinzeit in den Schatten stellte.
    Einer der Gründe, warum die Technik ihr eigener Ka­talysator ist, liegt darin, daß Fortschritte stets von der vorhergehenden Lösung einfacherer Probleme abhän­gen. So begannen steinzeitliche Bauern nicht urplötz­lich mit der Gewinnung und Verarbeitung von Eisen mit Hilfe von Schmelzöfen. Vielmehr wuchs die Eisen­technik auf der Grundlage jahrtausendelanger Erfahrun­gen mit Metallen, die in der Natur in Reinform vorka­men und weich genug waren, um auch ohne Erhitzung durch Hämmern in die gewünschte Form gebracht zu werden (Kupfer und Gold). Sie konnte ferner auf jahr­tausendelangen Erfahrungen im Bau einfacher Öfen auf­bauen, die für die Töpferei benötigt wurden, sowie auf der späteren Gewinnung von Kupfererzen und der Ver­arbeitung von Kupferlegierungen (Bronze), wofür nied­rigere Temperaturen als bei der Eisenverarbeitung aus­reichten. Sowohl in Vorderasien als auch in China setzten sich Eisengegenstände erst nach rund zweitausendjäh­riger Erfahrung mit Bronze durch. Die Zivilisationen der Neuen Welt hatten gerade erst mit der Herstellung von Bronzeartefakten begonnen, als die Europäer ein­trafen und der eigenständigen Entwicklung abrupt ein Ende setzten.
    Der andere Hauptgrund für den autokatalytischen Charakter der Technik besteht darin, daß neue Tech­niken und Werkstoffe die Entwicklung weiterer Tech­niken durch Rekombination ermöglichen. Warum etwa breitete sich die Drucktechnik im mittelalterlichen Eu­ropa so rasend schnell aus, nachdem Gutenberg 1455 seine Bibel gedruckt hatte, nicht aber nach der Herstel­lung der Scheibe von Phaistos durch jenen unbekannten Drucker um 1700 v. Chr.? Die Erklärung beruht zum Teil darauf, daß man in Europa in der Lage war, sechs tech­nische Errungenschaften zusammenzufügen, von denen die meisten dem Hersteller der Scheibe von Phaistos noch unbekannt waren. Von diesen Errungenschaften – Papier, Drucktypen, Metallverarbeitung, Pressen, Tin­te und Alphabetsschriften – waren zwei aus China nach Europa gekommen: Papier und die Idee der Drucktypen. Gutenbergs Entwicklung des Handsatzverfahrens mit gegossenen Metall-Lettern zur Lösung des fatalen Pro­blems ungleicher Typengröße basierte auf zahlreichen metallurgischen Fortschritten: Stahl für Patrizen, Mes­sing- oder Bronzelegierungen (später Stahl) für Druck­platten, Blei für Gußformen und eine Legierung aus Zinn, Zink und Blei für Schrifttypen. Gutenbergs Drucker­presse war eine Weiterentwicklung der Schraubenpresse, die ihm von der Wein- und Olivenölherstellung bekannt war, während die von ihm verwendete Druckfarbe eine Verbesserung existierender Tinten auf Ölbasis darstell­te. Die in Europa verwendeten Schriften, ein Erbe der dreitausendjährigen Alphabetsentwicklung, boten sich zum Typendruck an, da nur einige Dutzend Buchsta­benformen gegossen werden mußten (während die chi­nesische Schrift die Herstellung von mehreren Tausend solcher Formen erforderte).
    In allen sechs Punkten mußte sich der Hersteller der Scheibe von Phaistos im Vergleich zu Gutenberg mit weit unterlegenen Techniken begnügen, die er zu ei­nem Druckverfahren kombinierte. Als Druckoberflä­che diente ihm Ton, der viel schwerer zu handhaben ist und mehr wiegt als Papier. Die metallurgischen Kennt­nisse, Druckfarben und Pressen im Kreta der Zeit um 1700 v. Chr. waren viel primitiver als die des Jahres 1455 in deutschen Landen, so daß die Zeichen von Hand auf die Scheibe aufgebracht werden mußten, statt von be­weglichen, in einen Metallrahmen gespannten und in Druckfarbe getauchten Typen aufgetragen zu werden. Bei der Schrift auf der Scheibe handelte es sich um eine Silbenschrift, die aus einer größeren

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