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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Pazifikinsel Rennell durch einen großen, über der Schulter getragenen Fä­cher. Ein gemeiner Mann mußte, wenn er einem Häupt­ling gegenübertrat, diesem auf rituelle Weise Respekt bezeugen, etwa, indem er sich vor ihm auf den Boden warf (Hawaii). Die Anweisungen des Häuptlings wurden meist durch eine oder zwei bürokratische Ebenen an das Volk weitergegeben, wobei die Bürokraten oft Häuptlinge niedrigeren Ranges waren. Im Unterschied zu modernen Verwaltungsbeamten hatten Bürokraten in Häuptlings­reichen jedoch keine hochspezialisierten Funktionen. So trieben in der polynesischen Gesellschaft Hawaiis die gleichen Bürokraten (»Konohiki« genannt) Tribut ein, führten die Aufsicht über die Bewässerung und orga­nisierten Frondienste für den Häuptling; in staatlichen Verwaltungen ist dagegen jeder Bereich mit eigenen Spe­zialisten gesegnet (etwa Steuerbeamte, Bezirksbeauftrag­te für Wasserwirtschaft, Einberufungskommission, um beim Beispiel von Hawaii zu bleiben).
    Die größere, auf ein kleines Gebiet konzentrierte Be­völkerung eines Häuptlingsreichs erforderte große Nah­rungsmengen, die in der Regel durch Landwirtschaft produziert wurden, in einigen Fällen jedoch auch durch Jagen und Sammeln, wenn es die Natur besonders gut mit einer Region meinte. So lebten die Indianer an der nördlichen Pazifikküste (Kwakiutl, Nootka, Tlingit und andere Stämme) in von Häuptlingen regierten Dörfern, in denen weder Ackerbau getrieben noch Haustiere ge­halten wurden, da Flüsse und Meer reiche Lachs- und Heilbuttfänge bescherten. Die von »gemeinen« Stam­mesangehörigen erwirtschafteten Nahrungsüberschüs­se gingen an die Häuptlinge und ihre Familien, an Bü­rokraten und spezialisierte Handwerker, die beispiels­weise Kanus bauten, Spucknäpfe herstellten oder sich als Vogelfänger oder Tätowierer betätigten.
    Luxusgüter, zu denen derlei Werke, aber auch im Fernhandel eingetauschte seltene Dinge gehörten, wa­ren Häuptlingen vorbehalten. In Hawaii besaßen die Herrscher Federumhänge, die manchmal aus Zehntau­senden einzelner Federn bestanden, so daß ihre Anfer­tigung viele Generationen dauerte (die Umhangmacher stammten natürlich aus den Reihen der Normalsterb­lichen). Dank der Konzentration von Luxusgütern im Besitz von Häuptlingen ist es Archäologen oft möglich, Häuptlingsreiche daran zu erkennen, daß einige Grä­ber (die der Häuptlinge) viel kostbarere Gegenstände enthalten als andere (die des gemeinen Volks), worin ein deutlicher Unterschied zum Grabstätten-Egalitaris­mus der früheren Menschheitsgeschichte liegt. Überdies lassen sich einige frühgeschichtliche Häuptlingsreiche durch die Überreste größerer öffentlicher Bauten (bei­spielsweise von Tempeln) sowie durch eine Hierarchie der Siedlungen von Stammessiedlungen unterscheiden, wobei ein Ort (der Wohnsitz des obersten Häuptlings) größer ist als alle anderen und auch mehr administra­tive Gebäude und Artefakte aufweist.
    Wie Stämme bestanden auch Häuptlingsreiche aus ei­ner Vielzahl von Abstammungslinien, deren Angehöri­ge am gleichen Ort zusammenlebten. Während die Ab­stammungslinien bei Stämmen gleichberechtigte Sippen (Clans) bildeten, besaßen in Häuptlingsreichen alle An­gehörigen der Abstammungslinie des Herrschers Privi­legien, die weitervererbt wurden. Praktisch war die Ge­sellschaft in erbliche Klassen von Adligen und Nicht­adligen gespalten, wobei etwa der hawaiianische Adel wiederum in acht hierarchische Abstammungslinien un­tergliedert war, deren Angehörige vornehmlich inner­halb der eigenen Linie heirateten. Da Häuptlinge Dienst­boten für niedere Arbeiten und Handwerker benötigten, unterschieden sich Häuptlingsreiche von Stämmen auch darin, daß es zahlreiche Tätigkeiten gab, die von Skla­ven verrichtet werden konnten. Diese wurden typischer­weise auf eigens zu diesem Zweck veranstalteten Skla­venjagden gefangen.
    In wirtschaftlicher Hinsicht war das auffälligste Merk­mal von Häuptlingsreichen die Abkehr von ausschließlich reziproken Aus tauschbeziehungen, wie sie für Gruppen und Stämme typisch sind. Dabei erhält A ein Geschenk von B, wofür B von A ein Geschenk von vergleichbarem Wert irgendwann in der Zukunft erwartet. Bürger mo­derner Staaten praktizieren ein derartiges Verhalten zwar noch an Geburtstagen und bei manch anderer Gelegen­heit, doch das Gros des Güteraustauschs vollzieht sich heute durch Kauf und Verkauf gegen klingende Mün­ze nach dem

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