Arm und Reich
ungleicher verteilt ist als in den Dörfern Neuguineas.
Bei jeder auf sozialer Ungleichheit gegründeten Gesellschaft, ob Häuptlingsreich oder moderner Staat, stellt sich die Frage, warum das Volk geduldig zuschaut, wie sich Kleptokraten die Früchte seines Schweißes aneignen. Diese Frage, auf die Philosophen von Plato bis Marx nach Antworten suchten, wird von den Bürgern moderner Staaten bei jeder Wahl neu aufgeworfen. Kleptokratien mit wenig Halt in der Bevölkerung laufen Gefahr, gestürzt zu werden, entweder durch geknechtete Untertanen oder durch andere Möchtegernkleptokraten, die das Volk auf ihre Seite zu ziehen suchen, indem sie ein besseres Verhältnis von erbrachten Leistungen zu gestohlenen Früchten versprechen. So kam es in der Geschichte Hawaiis immer wieder zu Revolten gegen repressive Herrscher; meist wurden sie von deren jüngeren Brüdern angezettelt, die dem Volk etwas weniger Unterdrückung versprachen. Im Zusammenhang mit dem alten Hawaii mag man darüber schmunzeln, doch sollten wir nicht vergessen, daß derartige Streitereien noch heute großes Elend über die Völker bringen.
Was sollte eine Elite am besten tun, um die Bevölkerung hinter sich zu bringen und zugleich ein komfortableres Leben führen zu können als der kleine Mann? Kleptokraten aller Epochen haben auf diese Frage Antworten gefunden, die meist Kombinationen von vier verschiedenen Vorgehensweisen darstellten:
Entwaffnung der Massen, Bewaffnung der Elite. In der heutigen Zeit der industriell hergestellten High-Tech-Waffen, die leicht von Eliten monopolisierbar sind, ist dies viel einfacher als in früheren Tagen, als Speere und Keulen noch von jedermann in Heimarbeit angefertigt werden konnten.
Zufriedenstellung der Massen durch Rückgabe eines hohen Anteils des Tributs, stets darauf achtend, daß die gewählten Ausgabenfelder beim Volk auch gut ankommen. Dieses Prinzip besaß für hawaiianische Herrscher ebenso Gültigkeit wie für heutige Politiker, beispielsweise in den USA.
Nutzung des Gewaltmonopols zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zur Eindämmung von Gewalt. Hierbei handelt es sich um einen potentiell großen Vorteil zentralistischer gegenüber nichtzentralistischen Gemeinwesen, der gar nicht genug betont werden kann. Von Anthropologen wurden Stammesgesellschaften und Jäger-Sammler-Gruppen früher als sanftmütig und friedfertig idealisiert, da Wissenschaftler, die eine aus 25 Personen bestehende Gruppe besucht hatten, während eines dreijährigen Forschungsaufenthalts keinen einzigen Mord beobachtet hatten. Natürlich nicht! Man kann leicht nachrechnen, daß eine aus einem Dutzend Erwachsener und einem Dutzend Kindern bestehende Gruppe, die schon die ganz normalen, nicht mit Mord zusammenhängenden Todesfälle verkraften muß, gar nicht existieren könnte, wenn obendrein noch alle drei Jahre einer der zwölf Erwachsenen einem anderen aus der Gruppe den Garaus machen würde. Viel ausführlichere und über lange Zeiträume gesammelte Informationen über Gruppen und Stammesgesellschaften haben gezeigt, daß Mord und Totschlag zu den häufigsten Todesursachen zählen. Ich war einmal zu Besuch bei den Iyau in Neuguinea, als gerade eine Anthropologin Iyau-Frauen über ihre Lebensgeschichten befragte. Nach dem Namen des Ehemannes gefragt, gab eine nach der anderen die Namen mehrerer Männer an, die nacheinander eines unnatürlichen Todes gestorben waren. Eine typische Antwort lautete so: »Mein erster Mann wurde bei einem Überfall der Elopi getötet. Mein zweiter Mann wurde von einem Mann umgebracht, der mich zur Frau wollte und mein dritter Mann wurde. Den hat dann der Bruder meines zweiten Ehemannes aus Rache getötet.« Derartige Biographien sind für angeblich so sanftmütige Stammesangehörige keine Seltenheit und trugen mit dazu bei, daß eine Zentralgewalt mit zunehmender Größe von Stammesgesellschaften akzeptiert wurde.
4. Die vierte und letzte Möglichkeit für Kleptokraten, sich die Unterstützung des Volkes zu sichern, ist die Ersinnung einer Ideologie oder Religion, die ihre Herrschaft rechtfertigt. In Jäger-Sammler-Gruppen und Stammesgesellschaften glaubte man bereits an übernatürliche Dinge, gar nicht viel anders als in den großen Religionsgemeinschaften unserer Zeit. Doch solche Glaubensvorstellungen dienten nicht zur Rechtfertigung einer Zentralgewalt, zur Umverteilung von Wohlstand oder zur Wahrung des Friedens
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