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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Gesetz von Angebot und Nachfrage. Die Häuptlingsreiche behielten den reziproken Austausch bei und führten noch kein Geld als Zahlungsmittel ein, schufen aber etwas Neues: die Umverteilungswirtschaft. In ihrer einfachsten Form bestand sie darin, daß ein Häuptling zur Erntezeit von jedem Bauern seines Rei­ches beispielsweise einen Teil der Weizenernte erhielt und dann für alle ein Fest veranstaltete, auf dem Brot gereicht wurde; oder er bewahrte den Weizen auf und verteilte ihn in den Monaten vor der nächsten Ernte. Er­hielt die einfache Bevölkerung einen großen Teil der ab­gelieferten Güter nicht wieder zurück, sondern wurden diese von Häuptlingssippen und Handwerkern einbe­halten und verbraucht, so wurde aus Umverteilung Tri­but (ein Vorläufer unserer Steuern). Neben mate riellen Gütern verlangten die Häuptlinge von ihren Unterta­nen auch Fronarbeit bei öffentlichen Bauvorhaben, die entweder dem Volk selbst zugute kamen (beispielswei­se Bewässerungssysteme für die Landwirtschaft ) oder in erster Linie den Häuptlingen nützten (aufwendig ge­staltete Grabmäler und dergleichen).
    Wir haben bisher über Häuptlingsreiche gesprochen, als ob sie alle gleich wären. In Wirklichkeit gab es er­hebliche Unterschiede. Größere Reiche waren in der Re­gel durch einen mächtigeren Herrscher, einen größeren Adelsstand, krassere Unterschiede zwischen Häuptling und gemeinem Volk, höhere Tributleistungen an den Häuptling, mehr bürokratische Ebenen und prächtige­re öffentliche Bauwerke gekenn zeichnet. Dazu ein Bei­spiel: Die Gesellschaften auf den kleineren polynesischen Inseln ähnelten Stammesgesellschaften mit einem »Big­man« an der Spitze im Grunde sehr stark, nur daß ihre Häuptlinge erblichen Status hatten. So sah die Häupt­lingshütte aus wie jede andere, es gab weder Bürokratie noch öffentliche Bauwerke, der Häuptling gab die mei­sten Güter, die er von seinen Untertanen erhielt, wie­der an diese zurück, und das Land war im Besitz der Gemeinschaft. Auf den größeren polynesischen Inseln wie Hawaii, Tahiti und Tonga waren die Häuptlinge da­gegen schon auf den ersten Blick an ihrem prächtigen Schmuck zu erkennen, öffentliche Bauten wurden von Heerscharen von Arbeitern errichtet, der Tribut wurde zum größten Teil von den Häuptlingen einbehalten, und alles Land stand unter ihrer Kontrolle. Ein weiteres Dif­ferenzierungsmerkmal zwischen Gesellschaften mit auf Abstammung basierenden Privilegien ist die Größe der politischen Einheit, wobei das Spektrum von einem ein­zigen autonomen Dorf bis hin zu einer verstreuten An­sammlung von Dörfern reichte, von denen das größte einem obersten Häuptling als Sitz diente, der von dort aus die anderen Dörfer beherrschte, denen wiederum rangniedrigere Häuptlinge vorstanden.
    Bis hierher sollte deutlich geworden sein, daß in Häupt­lingsreichen erstmals ein Dilemma in Erscheinung trat, das für alle nichtegalitären Gesellschaften mit zentra­listischer Herrschaft von grundlegender Bedeutung ist. Im besten Falle tun solche Gesellschaften Gutes, indem sie aufwendige Dienstleistungen erbringen, die sich der einzelne nicht leisten kann. Im schlimmsten Fall han­delt es sich um schamlose Kleptokratien, die das Volk ausplündern und den von ihm erarbeiteten Reichtum nach oben umverteilen. Solch nobles beziehungsweise selbstsüchtiges Verhalten bildet zwei Seiten einer Me­daille, wobei der Schwerpunkt in der Realität, wie jeder weiß, sehr unterschiedlich gesetzt werden kann. Zwi­schen Kleptokrat und weisem Staatsmann, zwischen Räuberbaron und dem Hüter der Armen besteht nur ein gradueller Unterschied, der davon abhängt, wie hoch der Prozentsatz des Tributs ist, der in den Taschen der Elite verschwindet, und wie sehr dem einfachen Volk mit dem, wozu der umverteilte Tributanteil verwendet wird, gedient ist. Wir halten beispielsweise den ehema­ligen Präsidenten von Zaire, Mobutu, für einen Klep­tokraten, weil er zuviel Tribut (man spricht von Mil­liardenbeträgen) in die eigenen Taschen scheffelte und zu wenig an sein Volk zurückgab (Zaire besitzt nicht einmal ein funktionierendes Telefonnetz). George Was­hington erscheint uns dagegen als Staatsmann, weil er, statt sich als Präsident selbst zu bereichern, mit Steuer­geldern Programme finanzierte, die als löblich galten. Es darf allerdings erwähnt werden, daß George Was­hington in reiche Verhältnisse hineingeboren wurde und daß Wohlstand in den USA sehr viel

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