Arm und Reich
Häuptlingsreich Mtetwa durch die Tötung eines Rivalen an sich riß, löste das Problem der Schaffung zentralistischer Machtstrukturen auf höchst erfolgreiche Weise. Dingiswayo baute eine schlagkräftige militärische Organisation auf, indem er junge Männer aus allen Dörfern einzog und sie nach Alter statt nach ihrem Heimatdorf in Regimenter einteilte. Ihm gelang auch der Aufbau zentralistischer politischer Strukturen; bei der Eroberung anderer Häuptlingsreiche verzichtete er auf Massaker, ließ die jeweilige Häuptlingsfamilie unversehrt und ersetzte lediglich den besiegten Häuptling durch einen zur Zusammenarbeit mit ihm gewillten Verwandten des Häuptlings. Im Bereich der Konfliktregelung erweiterte Dingiswayo mit Erfolg das bestehende Gerichtswesen. Auf diese Weise gelang es ihm, 30 andere Zulu-Häuptlingsreiche zu erobern und mit seinem Reich zu vereinigen. Seine Nachfolger stärkten den jungen Zulu-Staat durch den weiteren Ausbau von Polizei-, Justiz- und Zeremonienwesen.
Man könnte beliebig viele Beispiele für Staatsgründungen durch Eroberung nach dem Muster des Zulu-Staates anführen. So wurden Europäer im 18. und 19. Jahrhundert an vielen Orten der Welt Zeugen der Entstehung von Eingeborenenstaaten aus Häuptlingsreichen; darunter waren die polynesischen Staaten auf Hawaii und Tahiti, der Merina-Staat auf Madagaskar, Lesotho, Swasiland und weitere Staaten, die im südlichen Afrika neben dem Zulu-Staat entstanden, der Ashanti-Staat in Westafrika und die Staaten Ankole und Buganda in Uganda. Die Reiche der Azteken und Inkas, ebenfalls durch Eroberungen geschmiedet, entstanden vor Ankunft der Europäer im 15. Jahrhundert; aus mündlichen Überlieferungen, die von den ersten spanischen Siedlern niedergeschrieben wurden, ist uns jedoch relativ viel über die damaligen Vorgänge bekannt. Die Gründung des römischen Staates und die Expansion des makedonischen Reiches unter Alexander dem Großen wurden von zeitgenössischen Autoren ausführlich geschildert.
Diese Beispiele zeigen, daß Krieg beziehungsweise Kriegsgefahr in den meisten, wenn nicht allen Fällen, in denen aus mehreren kleineren eine größere Gesellschaft hervorging, eine entscheidende Rolle spielte.
Kriege, selbst wenn sie nur zwischen kleinen Jäger-Sammler-Gruppen ausgefochten wurden, waren aber doch ein ständiger Faktor der Men schheitsgeschichte gewesen. Wie kam es dann, daß sie offenbar erst innerhalb der letzten 13 000 Jahre zur Entstehung größerer Gemeinwesen führten? Wir hatten bereits gesehen, daß die Bildung komplexer Gesellschaften in irgendeiner Weise mit dem Faktor Bevölkerungsdruck zusammenhängt, so daß wir jetzt unsere Aufmerksamkeit auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Bevölkerungsdruck und dem Ergebnis von Kriegen richten sollten. Warum führten Kriege in dichtbesiedelten Regionen eher zu Vereinigungen von Gesellschaften als in dünnbesiedelten? Die Antwort lautet, daß die Bevölkerungsdichte in einem Gebiet mit darüber entscheidet, was mit besiegten Völkern geschieht. Drei mögliche Ergebnisse sind zu unterscheiden:
In sehr dünn besiedelten Regionen, um die es sich gewöhnlich bei den Lebensräumen von Jäger-Sammler-Gruppen handelt, brauchen die Überlebenden einer besiegten Gruppe lediglich weiter von ihren Feinden fortzuziehen. Dies ist in Neuguinea und im Amazonasgebiet häufig nach kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Nomadengruppen zu beobachten.
Bei mittlerer Bevölkerungsdichte, beispielsweise in den Siedlungsgebieten von Stämmen, die Landwirtschaft treiben, sind keine »leeren« Gebiete vorhanden, in die sich Überlebende einer besiegten Gruppe flüchten könnten. Stammesgesellschaften ohne intensive Landwirtschaft haben jedoch weder Bedarf an Sklaven, noch produzieren sie Nahrungsüberschüsse in genügender Menge, um nennenswerte Tribute leisten zu können. Deshalb haben die Sieger keine Verwendung für Überlebende eines besiegten Stammes, vielleicht mit Ausnahme der Frauen, die zur Ehe genommen werden. Männer werden dagegen getötet, woraufhin ihr Territorium von den Siegern in Besitz genommen werden kann.
In dichtbesiedelten Gebieten, etwa denen von Staaten oder Häuptlingsreichen, finden die Besiegten ebenfalls keinen Raum, in den sie sich zurückziehen könnten. Die Sieger haben nun jedoch zwei Optionen, aus ihrem Erfolg Nutzen zu ziehen, ohne die Unterlegenen zu töten. Die ökonomische Differenzierung von
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