Arm und Reich
Häuptlingsreichen und Staaten ermöglicht die Ausbeutung der Besiegten als Sklaven, wie es in biblischen Zeiten gang und gäbe war. Die zweite Option ergibt sich daraus, daß viele dieser Gesellschaften intensiv Landwirtschaft betreiben und zur Erzeugung größerer Überschüsse in der Lage sind. Das gibt den Siegern die Möglichkeit, die Besiegten dort zu lassen, wo sie sind, ihnen aber die politische Selbständigkeit zu nehmen, regelmäßige Tribute in Form von Nahrungsmitteln oder Gütern von ihnen zu fordern und ihre Gesellschaft in die des siegreichen Staates oder Häuptlingsreichs einzugliedern. Dies war in der gesamten uns überlieferten Geschichte das gewöhnliche Ergebnis kriegerischer Auseinandersetzungen, die mit der Gründung von Staaten oder Reichen einhergingen. So hatten die spanischen Konquistadoren vor, den unterworfenen Völkern Mexikos Tribute aufzuerlegen, weshalb sie an den Tributverzeichnissen des Azteken-Reichs äußerst interessiert waren. Aus diesen ergab sich, daß die Azteken von den ihnen tributpflichtigen Völkern jährlich unter anderem 7000 Tonnen Mais, 4000 Tonnen Bohnen, 4000 Tonnen Amarantkörner, 200 0000 Baumwollumhänge und riesige Mengen an Kakaobohnen, Kriegstrachten, Schilden, Federkopfschmuck und Bernstein geliefert bekommen hatten.
Landwirtschaft, Konkurrenz zwischen Gesellschaften und Diffusion führten somit als eigentliche Ursachen über Kausalketten, die sich im Detail unterschieden, aber stets große Populationen mit hoher Siedlungsdichte und seßhafter Lebensweise implizierten, zu den unmittelbaren Faktoren, die Eroberungen ermöglichten: zu Krankheits erregern, Schrift, Technik und zentralistischer politischer Ordnung. Da sich die eigentlichen Ursachen auf verschiedenen Kontinenten unterschiedlich entwickelten, galt das gleiche auch für die unmittelbaren Faktoren der Eroberung. In der Regel bildeten sich mehrere gleichzeitig heraus, doch ein strikter Zusammenhang bestand nicht: So entfaltete das Inka-Reich seine Macht ohne Schrift, während die Azteken eine Schrift besaßen, aber nur wenige Infektionskrankheiten kannten. Das Beispiel der Zulu unter Dingiswayo zeigt, daß jeder dieser Faktoren einen unabhängigen Beitrag zum Geschichtsverlauf leistete. Unter den Dutzenden von Zulu-Häuptlingsreichen besaß das Mtetwa-Reich keinerlei Vorsprung gegenüber den anderen Reichen, was Technik, Schrift und Krankheitserreger betrifft, und besiegte sie dennoch alle. Seine Überlegenheit beschränkte sich auf die politische und ideologische Sphäre. Der so geschaffene Zulu-Staat konnte immerhin nahezu ein Jahrhundert lang große Teile des südlichen Afrika beherrschen.
TEIL IV
Reise um die Erdein fünf Kapiteln
KAPITEL 14
Yalis Volk
Die Geschichte Australiens und Neuguineas
W ährend eines Australienurlaubs beschlossen meine Frau Marie und ich, einen Ausflug zu einem Ort zu unternehmen, an dem man gut erhaltene Felsmalereien von Aborigines besichtigen konnte. Die Fundstelle lag in der Wüste unweit der Stadt Menindee. Ich hatte zwar von der Trockenheit und sommerlichen Hitze der australischen Wüste gehört, doch weil ich selbst schon öfter längere Zeit in der trockenen Hitze der kalifornischen Wüste und der neuguineischen Savanne verbracht hatte, hielt ich mich für erfahren genug, um mit den vergleichsweise unbedeutenden Problemen fertig zu werden, denen wir in Australien als Touristen begegnen würden. Mit einem reichlichen Vorrat an Trink wasser ausgerüstet, brachen wir gegen Mittag zu dem Felsen mit den Malereien auf, der nur wenige Kilometer abseits der Straße lag. Der Weg führte von der Rangerstation durch offenes,
schattenloses Gelände bergauf, und am Himmel stand keine einzige Wolke.
Die heiße, trockene Luft, die wir atmeten, erinnerte mich an eine finnische Sauna. Als wir am Fuß des Felsens mit den Malereien ankamen, war unser Wasservorrat aufgebraucht. Wir hatten auch das Interesse an Kunst verloren, also schoben wir uns, immer langsam und gleichmäßig atmend, weiter bergauf. Bald erblickte ich einen Vogel, der unverkennbar zur Spezies der Schwätzer gehörte, doch er kam mir größer vor als jede bekannte Schwätzerart. In diesem Moment wurde mir bewußt, daß ich zum erstenmal in meinem Leben eine Hitzehalluzination erlebte. Marie und ich beschlossen kurzerhand, sofort umzukehren.
Wir redeten nicht mehr. Beim Gehen konzentrierten wir uns auf das Atmen, die Entfernung zum nächsten markanten Punkt und darauf,
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