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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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geben kann (20 mal 19 geteilt durch 2), sind es bei 2000 Personen schon 1 999 000 mögliche Beziehungen. Jede davon stellt eine potentielle Zeitbombe dar, die explo­dieren und in einem tödlichen Streit enden könnte. Ein Mord zieht in Jäger-Sammler-Gruppen und Stammes­gesellschaften aber in der Regel einen Racheakt nach sich, so daß ein endloser Kreislauf des Mordens mit de­stabilisierenden Folgen für das Gemeinwesen in Gang gesetzt wird.
    In einer Gruppe, in der alle eng miteinander verwandt sind, schreiten bei Streitigkeiten Verwandte beider Par­teien als Schlichter ein. In einem Stamm, wo immer noch viele miteinander verwandt sind und wenigstens jeder die Namen aller anderen kennt, vermitteln gemeinsame Verwandte und Freunde zwischen Streithähnen. Ist je­doch die magische Grenze von »ein paar Hundert«, bis zu der noch jeder jeden kennen kann, überschritten, han­delt es sich bei Zweier-Interaktionen immer häufiger um solche zwischen nicht miteinander verwandten Frem­den. Bricht eine gewalttätige Auseinandersetzung unter Fremden aus, werden nur wenige gemeinsame Freunde oder Verwandte der Beteiligten anwesend sein, die ein persönliches Interesse daran hätten, den Kampf zu stop­pen. Statt dessen werden viele der Zuschauer Freunde oder Verwandte entweder der einen oder der anderen Konfliktpartei sein und sich auf deren Seite stellen, so daß eine handgreifliche Auseinandersetzung zwischen zwei Streithähnen leicht in eine Massenprügelei mün­den kann. Deshalb ist eine bevölkerungsreiche Gesell­schaft, die ihren einzelnen Mitgliedern die Konfliktre­gelung selbst überläßt, dazu verurteilt, über kurz oder lang an inneren Spannungen zu zerbersten. Dieser Fak­tor allein würde schon erklären, warum Gesellschaften mit Tausenden von Mitgliedern nur existieren können, wenn sie über eine Zentralgewalt mit Gewaltmonopol als Konfliktregelungsinstanz verfügen.
    Ein zweiter Grund ist die bei zunehmender Bevölke­rungsgröße immer stärker ins Gewicht fallende Unmög­lichkeit, gemeinschaftliche Entscheidungen zu treffen. In neuguineischen Dörfern, die so klein sind, daß a) Neu­igkeiten und Informationen rasch jedermann zu Ohren kommen, b) auf Dorf-Vollversammlungen jeder jeden Redner ver stehen kann und c) jeder, der das Wort er­greifen möchte, auf Ver sammlungen auch die Gelegen­heit dazu erhält, kann noch heute die gesamte erwach­sene Dorfbevölkerung Entscheidungen gemeinsam fäl­len. In wesentlich größeren Gemeinschaften sind diese Voraussetzungen für gemeinsame Entscheidungen jedoch nicht mehr gegeben. Selbst in der heutigen Zeit der Mi­krophone und Lautsprecher ist jedem klar, daß eine Ver­sammlung mit Tausenden von Teilnehmern kein geeig­neter Weg ist, um die Probleme einer Gruppe von dieser Größenordnung zu lösen. Deshalb bedarf eine größere Gesellschaft zentralistischer Strukturen, damit Entschei­dungen auf effektive Weise getroffen werden können.
    Der dritte Grund ist wirtschaftlicher Natur. Jede Ge­sellschaft benötigt Mechanismen zum Austausch von Gütern unter ihren Mitgliedern. Der einzelne findet oder produziert beispielsweise an manchen Tagen größere, an anderen kleinere Mengen eines lebensnotwendigen Guts. Da die Menschen unterschiedliche Begabungen haben, produziert jeder regelmäßig zuviel von dem ei­nen und zuwenig von einem anderen Gut. In kleinen Ge­sellschaften mit wenigen Mit glieder-Paaren (siehe oben) kann der dadurch erforderliche Güteraustausch direkt zwischen einzelnen Mitgliedern beziehungsweise Fa­milien abgewickelt werden (reziproker Austausch). Die gleichen mathematischen Verhältnisse, die der direk­ten paarweisen Konfliktlösung in großen Gesellschaf­ten entgegenstehen, lassen jedoch auch den direkten paarweisen Austausch von Wirtschaftsgütern ineffizi­ent erscheinen. Große Gesellschaften sind nur funkti­onsfähig, wenn die reziproke durch eine redistributive Ökonomie ergänzt wird. Diese beinhaltet die Abfüh­rung von Überschüssen, die von den einzelnen Mit­gliedern produziert werden, an eine zentrale Instanz, die sie dann an andere Mitglieder mit entsprechendem Defizit umverteilt.
    Eine letzte Überlegung, die ebenfalls für die Not­wendigkeit einer komplexen Organisation großer Ge­sellschaften spricht, hängt mit der Bevölkerungsdichte zusammen. Große, auf Landwirtschaft gestützte Gesell­schaften haben nicht nur mehr Mitglieder, sondern auch eine höhere Bevölkerungsdichte als kleine

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