Arm und Reich
Wüstenbewohner sind, liegt darin, daß sie in den attraktiveren Gebieten von Europäern umgebracht oder vertrieben wurden, so daß den letzten intakten Aborigines-Populationen nur der Rückzug in Gegenden blieb, an denen Europäer kein Interesse hatten.
Innerhalb der letzten 5000 Jahre kam es in einigen der fruchtbaren Regionen zu einer Intensivierung der von den Aborigines praktizierten Form der Nahrungsgewinnung, einhergehend mit einem Anstieg der Bevölkerungsdichte. So wurden in Ostaustralien Techniken entwickelt, mit denen es gelang, die im Überfluß vorhandenen stärkehaltigen, aber hochgiftigen Zykadeensamen durch Auslaugung oder Fermentation genießbar zu machen. Die zuvor ungenutzten Hochebenen im Südosten Australiens wurden ab einem gewissen Zeitpunkt regelmäßig im Sommer von Aborigines aufgesucht, die sich dort nicht nur an Zykadeennüssen und Jamswurzeln gütlich taten, sondern auch an Bogongfaltern, einer Wanderfalterart, die dort in riesigen Ansammlungen überwintert und gegrillt wie geröstete Kastanien schmeckt. Eine weitere Form intensiver Nahrungsgewinnung war der Fang von Süßwasseraalen im Murray-Darling-Stromsystem, wo die Wasserstände in Marschgebieten je nach saisonalen Regenfällen schwanken. Hier legten Aborigines komplizierte Kanalsysteme von bis zu 2,5 km Länge an, um den Aalen auch Zugang zu den jeweils benachbarten Marschgebieten zu verschaffen. Gefangen wurden die Aale an kunstvollen Wehren, in Fallen in toten Seitenkanälen und in Netzen an Steinwällen, die an einigen Stellen in den Kanälen errichtet wurden und mit Durchlaßöffnungen versehen waren. Fallen in unterschiedlicher Höhe trugen dem schwankenden Wasserstand in den Marschen Rechnung. Die Errichtung dieser »Fischfarmen« muß sehr viel Arbeit gekostet haben, konnte dann aber auch eine große Zahl von Menschen ernähren. Europäer berichteten im 19. Jahrhundert von Aborigines-Dörfern an solchen Orten, die aus mehreren Dutzend Häusern bestanden; Archäologen fanden sogar Überreste von Dörfern mit bis zu 146 Steinhäusern, was auf wenigstens saisonal seßhafte Populationen von mehreren hundert Menschen schließen läßt.
Eine weitere Neuerung in Ost- und Nordaustralien war das Ernten von Hirsekörnern einer Art, die zur gleichen Gattung gehört wie Besenhirse, die in der Frühphase der Landwirtschaft in China als Grundnahrungsmittel Bedeutung erlangte. Die Hirse wurde mit steinernen Messern geschnitten, zu Haufen gestapelt und gedroschen. Die Körner wurden in Lederbeuteln oder hölzernen Schalen aufbewahrt und später gemahlen. Einige der verwendeten Werkzeuge, wie Erntemesser und Mahlsteine, ähnelten den Werkzeugen, die im Bereich des Fruchtbaren Halbmonds zum Ernten und Verarbeiten der Samenkörner anderer Wildgräser erfunden wurden. Von allen Methoden, die die australischen Aborigines zur Nahrungsgewinnung anwandten, hätte die Hirseernte mit der Zeit vielleicht am ehesten zur Landwirtschaft geführt.
Parallel zur Intensivierung der Nahrungsgewinnung kamen in den letzten 5000 Jahren neue Arten von Werkzeugen in Australien auf. Kleine Steinklingen und -spitzen traten an die Stelle klobigerer Steinwerkzeuge. Beile mit geschliffenen Steinklingen, die ursprünglich nur an wenigen Orten Australiens verwendet wurden, setzten sich fast überall durch. Innerhalb der letzten tausend Jahre kamen auch Angelhaken aus Muschelschale in Gebrauch.
Warum wurden in Australien keine Werkzeuge aus Metall hergestellt, warum entstanden weder Schrift noch komplexe Formen politischer Organisation? Ein Hauptgrund liegt darin, daß die Aborigines ihre Lebensweise als Jäger und Sammler beibehielten, und wie wir aus den Kapiteln 11–13 wissen, hielten die genannten Neuerungen in anderen Teilen der Welt nur in Gesellschaften mit Landwirtschaft, hoher Bevölkerungsdichte und ökonomischer Differenzierung Einzug. Hinzu kommt, daß Australien mit seinem trockenen, unberechenbaren Klima und seinen kargen Böden nur einige hunderttausend Jäger und Sammler ernähren konnte. Verglichen mit den vielen Millionen Menschen in China oder Mesoamerika verfügte Australien also auch über sehr viel weniger potentielle Erfinder und eine weitaus kleinere Zahl von Gesellschaften, die mit Innovationen experimentieren konnten. Daneben mangelte es an engen Kontakten zwischen den einzelnen Aborigines-Gesellschaften. Das frühe Australien ähnelte einem äußerst dünn
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