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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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1500 v. Chr. außer Gebrauch kamen. Auf mindestens drei kleineren Inseln (Flinders, Kangaroo und King), die durch den Anstieg des Meeresspiegels vor etwa 10 000 Jahren von Australien beziehungsweise Tasmanien ab­geschnitten wurden, starben die menschlichen Bewoh­ner, die anfangs zwischen 200 und 400 gezählt haben dürften, vollständig aus.
    Tasmanien und die genannten drei kleineren Inseln veranschaulichen somit in Extremform einen Zusam­menhang von potentiell großer Bedeutung für den Lauf der Geschichte: Populationen, die aus wenigen hundert Menschen bestanden, konnten in vollständiger Isolation nicht unbegrenzt überleben. Eine Population aus 4000 Menschen konnte sich zwar 10 000 Jahre halten, aber nur mit deutlichen kulturellen Einbußen und einem Man­gel an Erfindungen mit der Folge eines starken Absin­kens des materiellen Entwicklungsstands. Die 300 000 Jäger und Sammler des australischen Festlands waren zahlreicher und weniger stark isoliert als die Tasmanier, bildeten aber dennoch die kleinste und abgeschiedenste menschliche Population aller Kontinente. Die archäolo­gisch belegten Fälle technischer Rückentwicklung auf dem australischen Festland und das Beispiel Tasmani­ens deuten darauf hin, daß das begrenzte kulturelle Re­pertoire der australischen Aborigines im Vergleich zu Völkern anderer Kontinente zum Teil auf die Auswir­kungen, die Isolation und geringe Bevölkerungszahl auf die Erfindung und Pflege von Techniken hatten, zurück­gehen könnte – ähnlich wie in Tasmanien, aber in we­niger extremer Form. Daraus läßt sich folgern, daß die gleichen Faktoren womöglich auch zu den Unterschieden im technischen Entwicklungsstand zwischen dem größten Kontinent (Eurasien) und den nächstkleineren (Afrika, Nordamerika, Südamerika) beitrugen.
    Warum erreichten Australien keine höher entwickelten Techniken von seinen Nachbarn Indonesien und Neu­guinea? Indonesien war von Nordwestaustralien durch das Meer getrennt und unterschied sich ökologisch sehr stark. Hinzu kommt, daß in Indonesien bis vor wenigen tausend Jahren in kultureller und technischer Hinsicht ebenfalls Stagnation herrschte. So deutet nichts darauf hin, daß nach der anfänglichen Besiedlung Australi­ens vor 40 000 Jahren auch nur eine einzige neue Tech­nik oder Pflanzen- oder Tierart von Indonesien nach Australien gelangte, bis um 1500 v. Chr. der Dingo auf­tauchte.
    Der Dingo kam auf dem Höhepunkt der austronesi­schen Expansion von Südchina über Indonesien nach Australien. Den Austronesiern gelang die Besiedlung sämtlicher indonesischer Inseln einschließlich der bei­den Australien am nächsten gelegenen – Timor und Ta­nimbar (Entfernung vom heutigen Australien: nur etwa 440 km beziehungsweise 330 km). Da die Austronesier bei ihrer Eroberung der südpazifischen Inselwelt sehr viel größere Entfernungen über das Wasser zurücklegten, müßten wir, auch wenn es den Dingo nicht als Beweis gäbe, davon ausgehen, daß sie wiederholt an Australiens Küsten landeten. In den letzten Jahrhunderten erhielt Nordwestaustralien jedes Jahr Besuch von Segelkanus aus dem Gebiet von Makassar auf der indonesischen In­sel Sulawesi (Celebes), bis die australische Regierung die­se Kontakte im Jahr 1907 unterband. Anhand archäolo­gischer Funde lassen sich die Besuche bis um 1000 n. Chr. zurückverfolgen, aber sie können auch schon viel früher begonnen haben. Hauptzweck dieser Reisen war die Be­schaffung von Seegurken (auch Trepang genannt); die mit dem Seestern verwandten Meerestiere wurden von Makassar aus nach China exportiert und dort wegen ih­rer vermeintlichen aphrodisischen Wirkung und ihres Wohlgeschmacks als Suppeneinlage geschätzt.
    Natürlich hinterließ der Handel, der sich bei den jähr­lichen Besuchen aus Makassar entwickelte, in Nordwest­australien zahlreiche Spuren. So pflanzten die Makas­saren an ihren Lagerstellen Tamarindenbäume und zeugten Kinder mit Aborigines-Frauen. Tuche, Metall­werkzeuge, Töpferwaren und Glas kamen als Handels­ware nach Australien; allerdings lernten die Aborigines nie, diese Dinge selbst herzustellen. Sie übernahmen von den Makassaren einige Lehnwörter, Zeremonien und den Bau von Einbaumkanus mit Segeln sowie das Pfei­ferauchen.
    Doch keiner dieser Einflüsse veränderte den grundle­genden Charakter der australischen Gesellschaft. Wich­tiger als das, was durch die Besuche der Makassaren ge­schah, war das, was nicht geschah. Die Makassaren lie­ßen sich nicht

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