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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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besiedel­ten Wüstenmeer, das sich zwischen einer kleinen Zahl fruchtbarerer ökologischer »Inseln« erstreckte und diese voneinander trennte. Jedes dieser begünstigten Gebiete beherbergte nur einen Bruchteil der australischen Ge­samtbevölkerung, und Kontakte zwischen ihnen waren aufgrund der großen Entfernungen sehr spärlich. Selbst in den vergleichsweise niederschlagsreichen, fruchtba­ren Küstenebenen Ostaustraliens herrschte kein reger Austausch zwischen den einzelnen Gesellschaften, was schon allein durch die Entfernung von rund 3000 Ki­lometern bedingt war, die zwischen den tropischen Re­genwäldern Queenslands im Nordosten und den Regen­wäldern der gemäßigten Klimazone im Südosten liegt – eine geographische und ökologische Distanz wie die zwischen Los Angeles und Alaska. Eine Reihe technischer Rückentwicklungen, die sich offenbar in einigen Regionen beziehungsweise in ganz Australien vollzogen, könnten auf die isolierte Lage und die relativ geringe Einwohnerzahl der australischen Be­völkerungszentren zurückzuführen sein. Auf der Kap-York-Halbinsel im Nordosten des Kontinents geriet der Bumerang, die typische Waffe Australiens, in Vergessen­heit. Die Aborigines im Südwesten Australiens hatten Schalentiere wieder von ihrem Speiseplan gestrichen, als sie erstmals Europäern begegneten. Der Verwendungs­zweck jener kleinen Steinspitzen, die nach archäologi­schen Funden vor etwa 5000 Jahren aufgetaucht sein müssen, ist weiter ungeklärt. Eine einfache Erklärung wäre, daß es sich um Speerspitzen und Widerhaken han­delte, doch die Ähnlichkeit mit den Steinspitzen und Widerhaken, die in anderen Teilen der Welt an Pfeilen befestigt wurden, läßt Zweifel aufkommen. Sollten sie in Wahrheit als Pfeilspitzen gedient haben, so wäre viel­leicht auch das Rätsel gelöst, warum Pfeil und Bogen in jüngerer Vergangenheit in Neuguinea verwendet wurden, nicht aber in Australien: Vielleicht wurden Pfeil und Bo­gen tatsächlich für eine gewisse Zeit übernommen und gerieten dann in ganz Australien wieder in Vergessen­heit. All diese Beispiele erinnern an die Abkehr der Ja­paner vom Gewehr, die Abschaffung von Pfeil und Bo­gen und Töpferei im größten Teil Polynesiens und die Abwendung anderer isolierter Gesellschaften von ande­ren Techniken (Kapitel 12).
    Schauplatz der extremsten technischen Rückentwick­lung in diesem Teil der Welt war die Insel Tasmani­en, die etwa 240 Kilometer vor der Küste Südostaustra­liens liegt. Als der Meeresspiegel im Eiszeitalter sank, war die Bass-Straße, die heute Tasmanien von Australi­en trennt, eine trockene Ebene, und die Bewohner Tas­maniens waren Teil der durchgehenden menschlichen Besiedlung des großaustralischen Kontinents. Als dann die Bass-Straße nach dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10 000 Jahren überflutet wurde, riß der Kontakt zwischen Tasmaniern und Festland-Australiern ab, da keine Seite über Boote oder Flöße verfügte, die für eine Überquerung der Bass-Straße tauglich waren. Fortan lebten die 4000 tasmanischen Jäger und Sammler ohne jeden Kontakt zu anderen menschlichen Wesen – ein Zustand, wie er sonst nur in Science-Fiction-Romanen geschildert wird.
    Als die Tasmanier im Jahr 1642 die Bekanntschaft der Europäer machten, war ihre materielle Kultur von allen Völkern der Neuzeit auf dem primitivsten Stand. Wie die Aborigines auf dem australischen Festland wa­ren auch sie Jäger und Sammler ohne Metallwerkzeuge. Darüber hinaus fehlten ihnen aber zahlreiche Techni­ken und Artefakte, die auf dem Festland weit verbreitet waren, wie Speere mit Widerhaken, Knochenwerkzeuge, Bumerange, geschliffene oder polierte Steinwerkzeuge, Steinwerkzeuge mit Schaft, Haken, Netze, Fallen und Speere mit Gabelspitze. Unbekannt waren auch Fertig­keiten wie Fischfang und -zubereitung, Nähen und das Entfachen von Feuer. Manche dieser Errungenschaften trafen möglicherweise zuerst auf dem australischen Fest­land ein oder wurden dort erfunden, nachdem die Ver­bindung zwischen Tasmanien und Australien abgeris­sen war; in diesem Fall wäre davon auszugehen, daß die winzige tasmanische Population die genannten Techni­ken und Fertigkeiten nicht unabhängig entwickelte. An­dere Techniken gelangten nach Tasmanien, als es noch zum australischen Festland gehörte, kamen dort aber während der langen Phase der Isolation abhanden. So geht aus archäologischen Funden hervor, daß Fischfang sowie Ahlen, Nadeln und andere Knochenwerkzeuge um

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