Arm und Reich
dauerhaft in Australien nieder, was sicher daran lag, daß der Teil Nordwestaustraliens, der Indonesien am nächsten liegt, für ihre Form der Landwirtschaft viel zu trocken war. Wären die tropischen Regenwälder und Savannen Nordostaustraliens Indonesien am nächsten gewesen, so hätten die Makassaren dort siedeln können, doch es spricht nichts dafür, daß sie je so weit fuhren. Da die Makassaren nur in kleiner Zahl kamen, nie sehr lange blieben und nicht ins Inland vordrangen, beschränkten sich ihre Kontakte auf wenige Gruppen von Australiern, die sie an einem kurzen Abschnitt der Küste antrafen. Selbst diese wenigen Aborigines lernten nur einen kleinen Ausschnitt der makassischen Kultur und Technik kennen, nicht aber deren ganze Bandbreite mit Reisfeldern, Schweinen, Dörfern und Werkstätten. Da die Australier die nomadische Jagd- und Sammelwirtschaft beibehielten, eigneten sie sich nur die wenigen Gegenstände und Bräuche der Makassaren an, die zu ihrer Lebensweise paßten. Pfeifen und Einbaumkanus mit Segeln: ja, Schmiedeöfen und Schweine: nein.
Noch verblüffender als der schwache indonesische Einfluß auf die Australier erscheint der geringe Einfluß Neuguineas. Auf der neuguineischen Seite der schmalen Torresstraße lebten neuguineische Bauern, die neuguineische Sprachen sprachen und Schweine, Töpferwaren und Pfeil und Bogen besaßen; am anderen Ufer lebten australische Jäger und Sammler mit australischen Sprachen, die weder Schweine noch Töpferwaren oder Pfeil und Bogen besaßen. Dabei ist die Torresstraße keine breite geschlossene Wasserfläche, sondern mit Inseln übersät, von denen die größte, Muralug, nur 15 Kilometer von der australischen Küste entfernt liegt. Regelmäßige Handelskontakte verbanden Australien mit den Inseln und die Inseln mit Neuguinea. Zahlreiche Aborigines-Frauen kamen als Ehefrauen auf die Insel Muralug, wo sie Gärten sahen und Pfeil und Bogen kennenlernten. Wie kam es, daß diese Errungenschaften der neuguineischen Kultur nicht den Weg nach Australien fanden?
Daß die Torresstraße eine kulturelle Barriere darstellte, ist nur verwunderlich, wenn man sich fälschlicherweise eine voll entwickelte neuguineische Gesellschaft mit Schweinen und intensiver Landwirtschaft 15 Kilometer vor der australischen Küste vorstellt. Die Realität sah anders aus. Die Aborigines von Kap York bekamen niemals einen Neuguineer vom Festland zu Gesicht. Handel wurde statt dessen zwischen Neuguinea und den dicht vor der neuguineischen Küste gelegenen Inseln getrieben, dann zwischen diesen Inseln und der Insel Mabuiag in der Mitte der Torresstraße, weiter zwischen Mabuiag und der etwas näher an Australien gelegenen Insel Badu, von dort mit Muralug und schließlich zwischen Muralug und Kap York.
Von jeder Insel zur nächsten wurde die neuguineische Kultur etwas mehr verwässert. Schweine waren auf den meisten Inseln nur vereinzelt oder gar nicht anzutreffen. Die Bewohner des Küstentieflands im Süden Neuguineas trieben keine intensive Landwirtschaft wie die Hochlandbewohner, sondern lebten von Brandrodungsfeldbau, ergänzt durch Fischfang, Jagen und Sammeln. Auf dem Weg vom Süden Neuguineas nach Australien verlor selbst der Brandrodungsfeldbau von Insel zu Insel an Bedeutung. Muralug, die Australien am nächsten gelegene Insel, war trocken, für landwirtschaftliche Zwecke kaum geeignet und nur spärlich besiedelt. Ihre wenigen Bewohner ernährten sich vor allem von Fisch, wilden Jamswurzeln und Mangrovenfrüchten.
Was an der Torresstraße, der Nahtstelle zwischen Neuguinea und Australien, geschah, erinnert an das Kinderspiel »Stille Post«, bei dem die Mitspieler einen Kreis bilden und das erste Kind seinem Nachbarn ein Wort ins Ohr flüstert, das wiederum das, was es gehört zu haben glaubt, dem nächsten Kind zuflüstert, bis schließlich das letzte dem ersten Kind etwas ins Ohr flüstert, das zur Belustigung aller mit demursprünglichen Wort kaum noch Ähnlichkeit hat. Auf die gleiche Weise wies auch das, was schließlich bei den Aborigines von Kap York ankam, nur noch eine schwache Ähnlichkeit mit der neuguineischen Kultur auf. Man darf sich die Beziehungen zwischen den Bewohnern Muralugs und Kap Yorks auch nicht als Zustand dauernder Harmonie vorstellen, so als ob die Aborigines stets eifrig bemüht gewesen wären, bei ihren insulanischen Lehrern Nachhilfeunterricht in Kultur zu nehmen. Vielmehr gab es
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