Arm und Reich
brechen, die ihnen mit Keulen und Pfeil und Bogen entgegentraten. Die Zahl europäischer Siedler war jedoch nie sehr groß, mit der Folge, daß Neuguinea noch heute hauptsächlich von Neuguineern bewohnt wird. Ganz anders stellt sich die Situation in Australien, Nord- und Südamerika und Südafrika dar, wo die europäischen Siedler in großen Scharen kamen und die Völker, die vor ihnen dort waren, weitgehend verdrängten. Warum geschah das gleiche nicht in Neuguinea?
Ein wichtiger Faktor, der alle Versuche von Europäern, das neuguineische Tiefland zu besiedeln, bis etwa 1880 vereitelte, waren Malaria und andere Tropenkrankheiten, von denen jedoch keine zu den in Kapitel 10 erörterten typischen Infektionskrankheiten großer Menschenmassen gehörte. Das ehrgeizigste aller gescheiterten Siedlungsvorhaben, das ein Franzose, der Marquis de Rays, auf der Nachbarinsel Neuirland organisierte, endete in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts damit, daß 930 der 1000 angetretenen Kolonisten innerhalb von drei Jahren ums Leben kamen. Trotz der modernen medizinischen Behandlungsmethoden, die heute zur Verfügung stehen, mußten viele meiner amerikanischen und europäischen Bekannten Neuguinea vorzeitig wegen Malaria, Hepatitis oder anderer Krankheiten verlassen, und auch von mir hat Neuguinea gesundheitlichen Tribut in Form von einem Jahr Malaria und einem Jahr Ruhr gefordert.
Warum wurden Neuguineer nicht ebenso von eurasischen Krankheitserregern niedergestreckt wie umgekehrt Europäer von denen des neuguineischen Tieflands? Zwar erkrankten einige Neuguineer an eingeschleppten Krankheiten, aber das war nichts im Vergleich zu den Epidemien, von denen die Urbevölkerungen Australiens und Amerikas weitgehend ausgelöscht wurden. Die Neuguineer hatten insofern Glück, als auf ihrer Insel vor 1880 keine permanenten europäischen Siedlungen entstanden, und zu diesem Zeitpunkt waren Pocken und andere europäische Infektionskrankheiten durch den medizinischen Fortschritt bereits weitgehend unter Kontrolle gebracht. Hinzu kommt, daß im Zuge der austronesischen Expansion schon seit 3500 Jahren ein Strom von indonesischen Siedlern und Händlern nach Neuguinea gekommen war. Da Infektionskrankheiten des asiatischen Festlands in Indonesien fest etabliert waren, hatten auf diese Weise auch die Neuguineer schon lange Kontakt mit eurasischen Krankheitserregern gehabt und konnten viel stärkere Abwehrkräfte gegen sie entwickeln als die australischen Aborigines.
Der einzige Teil Neuguineas, in dem Europäer ohne ernste gesundheitliche Probleme leben können, ist das Hochland oberhalb der Malariagrenze. In diese bereits von Neuguineern dicht besiedelte Region drangen Europäer jedoch erst in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts vor, als es nicht mehr der Politik der australischen und niederländischen Kolonialregierungen entsprach, durch massenhafte Tötung oder Vertreibung der Urbevölkerungen Land für weiße Siedler »freizumachen«, wie es in früheren Jahrhunderten des europäischen Kolonialismus immer wieder geschehen war.
Ein weiteres Hindernis für europäische Siedler bestand darin, daß ihre Anbaupflanzen, ihr Vieh und ihre gewohnte Art der Landwirtschaft für das Klima und die Umweltbedingungen Neuguineas schlecht geeignet waren. Während importierte Kulturpflanzen aus den amerikanischen Tropen, wie Kürbis, Mais und Tomate, inzwischen in bescheidenem Umfang angebaut werden und auch Tee- und Kaffeeplantagen aus dem Hochland von Papua-Neuguinea nicht mehr wegzudenken sind, konnten europäische Grundnahrungsmittel wie Weizen, Gerste und Erbsen dort nie Fuß fassen. Mitgebrachte Kühe und Ziegen, die in kleiner Zahl gehalten wurden, litten wie die Europäer selbst an Tropenkrankheiten. Noch heute wird die Landwirtschaft in Neuguinea von eben jenen Anbaupflanzen und -methoden beherrscht, die im Laufe der Jahrtausende von den Neuguineern perfektioniert wurden.
All diese Probleme mit Krankheiten, der Unwegsamkeit des Terrains und der Nahrungsversorgung trugen dazu bei, daß die Europäer den östlichen Teil Neuguineas (den heutigen unabhängigen Staat Papua-Neuguinea) verließen; bewohnt und regiert wird Papua-Neuguinea jetzt von Neuguineern, die aber Englisch als Amtssprache verwenden, mit dem Alphabet schreiben, unter demokratischen politischen Institutionen leben, die sich an denen Englands orientieren, und mit importierten Gewehren auf die Jagd
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