Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
einen häufigen Wechsel zwischen friedlichem Handel und kriegerischen Auseinandersetzungen zum Zweck der Kopfjagd und des Frauenraubs.
    Trotz der Verwässerung der neuguineischen Kultur durch Entfernung und Kriege gelangten einige Einflüsse aus Neuguinea nach Australien. Durch Mischehen fan­den körperliche Merkmale von Neuguineern, wie krau­ses im Gegensatz zu glattem Haar, den Weg auf die Kap-York-Halbinsel. Vier Kap-York-Sprachen enthielten für Australien ungewöhnliche Phoneme, was auf den Einfluß neuguineischer Sprachen zurückgehen könnte. Die wich­tigsten Importe aus Neuguinea waren Angelhaken aus Muschelschale, die sich bis weit nach Australien hinein verbreiteten, sowie neuguineische Auslegerkanus, die an den Küsten der Kap-York-Halbinsel in Gebrauch kamen. Neuguineische Trommeln, rituelle Masken, Begräbnis­pfähle und Pfeifen wurden von den Bewohnern von Kap York ebenfalls übernommen, nicht aber die Landwirt­schaft, was sicher zum Teil daran lag, daß das, was sie auf Muralug sahen, nicht sehr eindrucksvoll war. Auch die Schweinezucht schaffte nicht den Sprung über die Torresstraße – erstens gab es auf den Inseln keine oder nur wenige Schweine, und zweitens hätte es der Land­wirtschaft bedurft, um sie mästen zu können. Pfeil und Bogen wurden ebenfalls nicht übernommen; die Abori­gines bevorzugten weiter Speere und Speerschleudern.
    Australien ist groß, Neuguinea aber auch. Die Kontak­te zwischen den beiden Landmassen beschränkten sich jedoch auf wenige Gruppen von Torres-Insulanern mit einer Kultur, die nur ein schwacher Abglanz der neu­guineischen war, und eine kleine Zahl von Kap-York-Aborigines. Die Entscheidung der Australier, aus wel­chen Gründen auch immer weiter Speere statt Pfeil und Bogen zu verwenden und auch manch andere neuguine­ische Kulturgüter, die sie in abgeschwächter Form ken­nenlernten, nicht zu übernehmen, verhinderte die Ein­führung dieser kulturellen Errungenschaften im ganzen übrigen Australien. So kam es, daß lediglich Angelhaken aus Muschelschale in Australien größere Verbreitung er­langten. Hätte die Hunderttausende zählende bäuerliche Bevölkerung im kühlen neuguineischen Hochland engen Kontakt mit den Aborigines im kühlen Hochland des australischen Südostens unterhalten, so wäre ein umfas­sender Transfer von Intensivlandwirtschaft und neugui­neischer Kultur nicht unwahrscheinlich gewesen. Zwi­schen den Hochlandregionen Neuguineas und Austra­liens liegt jedoch eine Entfernung von 3500 Kilometern mit ökologisch völlig andersartigen Landschafts räumen. Für die Australier war deshalb die Chance, Kulturgü­ter des neuguineischen Hochlands kennenzulernen und sich anzueignen, ungefähr so groß, als wenn sie dafür zum Mond hätten fliegen müssen.
    Kurzum, das Fortbestehen einer steinzeitlichen Kul­tur nomadischer Jäger und Sammler in Australien, die im Handelsaustausch mit steinzeitlichen neuguineischen und eisenzeitlichen indonesischen Bauern standen, rückt die Aborigines auf den ersten Blick in ein extrem fort­schrittsfeindliches Licht. Bei näherer Betrachtung finden wir darin aber lediglich eine Bestätigung für die über­ragende Bedeutung, die der Geographie bei der Wei­tergabe kultureller und technischer Errungenschaften zukommt.
    Was in unserer Betrachtung noch fehlt, sind die Begeg­nungen der steinzeitlichen Gesellschaften Neuguineas und Australiens mit eisenzeitlichen Europäern. Ein portugiesischer Seefahrer »entdeckte« Neuguinea im Jahr 1526. Holland erhob 1828 Anspruch auf die west­liche Hälfte, England und das Deutsche Reich teilten 1884 die östliche Hälfte untereinander auf. Die ersten Europäer, die als Siedler kamen, ließen sich an der Kü­ste nieder, und es verging viel Zeit, bevor sie ins Lande­sinnere vordrangen. Bis 1960 hatten europäische Regie­rungen jedoch die meisten Neuguineer unter ihre poli­tische Herrschaft gebracht.
    Die Gründe, warum Neuguinea zur Kolonie Europas wurde und nicht umgekehrt, liegen auf der Hand. Es waren die Europäer, die seetüchtige Schiffe und Kom­passe besaßen, um die Überfahrt nach Neuguinea zu meistern; sie verfügten über Schriftsysteme und Druckerpressen zur Anfertigung von Karten, Berichten und bürokratischen Unterlagen, die bei der Errichtung ihrer Herrschaft über Neuguinea von Nutzen waren; sie be­saßen die politischen Institutionen, um Schiffe, Solda­ten und Verwaltung zu organisieren, und die Gewehre, um den Widerstand von Neuguineern zu

Weitere Kostenlose Bücher