Arm und Reich
einen häufigen Wechsel zwischen friedlichem Handel und kriegerischen Auseinandersetzungen zum Zweck der Kopfjagd und des Frauenraubs.
Trotz der Verwässerung der neuguineischen Kultur durch Entfernung und Kriege gelangten einige Einflüsse aus Neuguinea nach Australien. Durch Mischehen fanden körperliche Merkmale von Neuguineern, wie krauses im Gegensatz zu glattem Haar, den Weg auf die Kap-York-Halbinsel. Vier Kap-York-Sprachen enthielten für Australien ungewöhnliche Phoneme, was auf den Einfluß neuguineischer Sprachen zurückgehen könnte. Die wichtigsten Importe aus Neuguinea waren Angelhaken aus Muschelschale, die sich bis weit nach Australien hinein verbreiteten, sowie neuguineische Auslegerkanus, die an den Küsten der Kap-York-Halbinsel in Gebrauch kamen. Neuguineische Trommeln, rituelle Masken, Begräbnispfähle und Pfeifen wurden von den Bewohnern von Kap York ebenfalls übernommen, nicht aber die Landwirtschaft, was sicher zum Teil daran lag, daß das, was sie auf Muralug sahen, nicht sehr eindrucksvoll war. Auch die Schweinezucht schaffte nicht den Sprung über die Torresstraße – erstens gab es auf den Inseln keine oder nur wenige Schweine, und zweitens hätte es der Landwirtschaft bedurft, um sie mästen zu können. Pfeil und Bogen wurden ebenfalls nicht übernommen; die Aborigines bevorzugten weiter Speere und Speerschleudern.
Australien ist groß, Neuguinea aber auch. Die Kontakte zwischen den beiden Landmassen beschränkten sich jedoch auf wenige Gruppen von Torres-Insulanern mit einer Kultur, die nur ein schwacher Abglanz der neuguineischen war, und eine kleine Zahl von Kap-York-Aborigines. Die Entscheidung der Australier, aus welchen Gründen auch immer weiter Speere statt Pfeil und Bogen zu verwenden und auch manch andere neuguineische Kulturgüter, die sie in abgeschwächter Form kennenlernten, nicht zu übernehmen, verhinderte die Einführung dieser kulturellen Errungenschaften im ganzen übrigen Australien. So kam es, daß lediglich Angelhaken aus Muschelschale in Australien größere Verbreitung erlangten. Hätte die Hunderttausende zählende bäuerliche Bevölkerung im kühlen neuguineischen Hochland engen Kontakt mit den Aborigines im kühlen Hochland des australischen Südostens unterhalten, so wäre ein umfassender Transfer von Intensivlandwirtschaft und neuguineischer Kultur nicht unwahrscheinlich gewesen. Zwischen den Hochlandregionen Neuguineas und Australiens liegt jedoch eine Entfernung von 3500 Kilometern mit ökologisch völlig andersartigen Landschafts räumen. Für die Australier war deshalb die Chance, Kulturgüter des neuguineischen Hochlands kennenzulernen und sich anzueignen, ungefähr so groß, als wenn sie dafür zum Mond hätten fliegen müssen.
Kurzum, das Fortbestehen einer steinzeitlichen Kultur nomadischer Jäger und Sammler in Australien, die im Handelsaustausch mit steinzeitlichen neuguineischen und eisenzeitlichen indonesischen Bauern standen, rückt die Aborigines auf den ersten Blick in ein extrem fortschrittsfeindliches Licht. Bei näherer Betrachtung finden wir darin aber lediglich eine Bestätigung für die überragende Bedeutung, die der Geographie bei der Weitergabe kultureller und technischer Errungenschaften zukommt.
Was in unserer Betrachtung noch fehlt, sind die Begegnungen der steinzeitlichen Gesellschaften Neuguineas und Australiens mit eisenzeitlichen Europäern. Ein portugiesischer Seefahrer »entdeckte« Neuguinea im Jahr 1526. Holland erhob 1828 Anspruch auf die westliche Hälfte, England und das Deutsche Reich teilten 1884 die östliche Hälfte untereinander auf. Die ersten Europäer, die als Siedler kamen, ließen sich an der Küste nieder, und es verging viel Zeit, bevor sie ins Landesinnere vordrangen. Bis 1960 hatten europäische Regierungen jedoch die meisten Neuguineer unter ihre politische Herrschaft gebracht.
Die Gründe, warum Neuguinea zur Kolonie Europas wurde und nicht umgekehrt, liegen auf der Hand. Es waren die Europäer, die seetüchtige Schiffe und Kompasse besaßen, um die Überfahrt nach Neuguinea zu meistern; sie verfügten über Schriftsysteme und Druckerpressen zur Anfertigung von Karten, Berichten und bürokratischen Unterlagen, die bei der Errichtung ihrer Herrschaft über Neuguinea von Nutzen waren; sie besaßen die politischen Institutionen, um Schiffe, Soldaten und Verwaltung zu organisieren, und die Gewehre, um den Widerstand von Neuguineern zu
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