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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Sammler beherbergten. Im Zuge der Ansiedlung von Europäern wurde ihre Zahl auf zwei­erlei Weise dezimiert. Zum einen erschoß man sie in gro­ßer Zahl, was im 19. und späten 18. Jahrhundert weniger Anstoß erregte als in den 30er Jahren dieses Jahrhun­derts, als Europäer in das neuguineische Hochland vor­drangen. Das letzte größere Massaker, bei dem 31 Abori­gines umgebracht wurden, ereignete sich 1928 bei Alice Springs. Die zweite Methode war das Einschleppen von Krankheiten, gegen die Aborigines keine Immunität oder erblichen Abwehrkräfte besaßen. Innerhalb eines Jahres nach dem Eintreffen der ersten europäischen Siedler in Sydney im Jahr 1788 wurden die Leichen von Aborigi­nes, die an Krankheitsepidemien gestorben waren, zum alltäglichen Anblick. Die meisten Opfer forderten Pocken, Grippe, Masern, Typhus, Fleckfieber, Windpocken, Keuchhusten, Tuberkulose und Syphilis.
    Auf diese Weise verschwanden eigenständige Aborigi­nes-Gesellschaften in sämtlichen für europäische Land­wirtschaft geeigneten Gebieten. Mehr oder weniger in­takt konnten nur jene Gesellschaften überleben, die in Gebieten im Norden und Westen Australiens beheima­tet waren, die Europäer als nutzlos erachteten. So wur­den binnen eines Jahrhunderts europäischer Kolonisie­rung Traditionen der Aborigines, die sich in 40 000 Jah­ren entwickelt hatten, größtenteils ausgelöscht.
    Kehren wir nun zu der Frage zurück, die am Beginn dieses Kapitels aufgeworfen wurde. Wie, wenn nicht mit der Minderwertigkeit der Aborigines, läßt sich die Tatsache erklären, daß weiße englische Kolonisten of­fenbar ein demokratisches Gemeinwesen mit Schrift, Landwirtschaft und Industrie binnen weniger Jahr­zehnte nach der Besiedlung eines Kontinents schufen, dessen Bewohner nach über 40 000 Jahren immer noch auf der Stufe analphabetischer Jäger und Sammler stan­den? Handelt es sich nicht um ein perfekt kontrolliertes Experiment zur Evolution menschlicher Gesellschaften, dessen Ergebnis nur eine einzige, nämlich rassistische Interpretation zuläßt?
    Die Antwort ist einfach. Die weißen englischen Kolo­nisten schufen in Wahrheit gar nicht selbst ein demokra­tisches Gemeinwesen mit Schrift, Landwirtschaft und Industrie in Australien. Vielmehr importierten sie alle Elemente von außen: das Vieh, sämtliche Anbaupflanzen (mit Ausnahme der Macadamianuß), die Metallverar­beitung, Dampfmaschinen, Gewehre, das Alphabet, die politischen Institutionen, ja sogar die Krankheiten. Das alles waren die letzten Glieder in der Kette einer zehntau­sendjährigen Entwicklung in eurasischer Umwelt. Durch puren geographischen Zufall waren die Kolonisten, die 1788 in Sydney landeten, Erben all dieser Dinge. Euro­päer haben nie gelernt, in Australien oder Neuguinea ohne ihre mitgebrachte eurasische Technik zu überle­ben. Robert Burke und William Wills waren zwar klug genug, um zu schreiben, aber sie waren nicht klug ge­nug, um in australischen Wüstengebieten zu überleben, der Heimat von Aborigines.
    Nur die Ureinwohner Australiens schufen eine eige­ne Gesellschaft, wenn auch natürlich keine mit Schrift, Landwirtschaft, Industrie und Demokratie. Die Gründe dafür liegen eindeutig in der australischen Umwelt.

KAPITEL 15
Wie China chinesisch wurde
Die Geschichte Ostasiens
    I mmigration, positive Diskriminierung, Multilingua­lismus, multikulturelle Gesellschaft– Kalifornien, der Staat, in dem ich lebe, gehörte bei jedem dieser um­strittenen Themen zu den Pionieren und hat sich nun an die Spitze einer Gegenbewegung gestellt. Ein Blick in die Klassenzimmer der staatlichen Schulen von Los Angeles, die auch meine Söhne besuchen, verleiht den abstrakten Debatten konkrete Gestalt in Form der Ge­sichter von Kindern. Bei ihnen zu Hause werden mehr als 80 Sprachen gesprochen, wobei englischsprechende Weiße die Minderheit bilden. Jeder der Spielkameraden meiner Söhne, ohne Ausnahme, hat mindestens einen außerhalb der USA geborenen Eltern- oder Großeltern­teil; das gilt auch für drei der vier Großeltern meiner Kinder. Durch Einwanderung wird unterdessen ledig­lich die Vielfalt wiederhergestellt, die Amerika jahrtau­sendelang prägte. Bevor die Europäer kamen, lebten auf dem Gebiet der heutigen USA Hunderte von Indianer­stämmen mit Hunderten von Sprachen. Erst innerhalb der letzten hundert Jahre kam dieses große Gebiet un­ter die Herrschaft einer einzigen Regierung.
    In dieser Hinsicht sind die USA ein durch und durch »normales« Land.

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