Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
Über­see aufbrachen, war die austronesische Sprachfamilie weltweit am stärksten verbreitet. Das läßt den Schluß zu, daß die malaiopolynesische Untergruppe sich erst vor relativ kurzer Zeit aus der austronesischen Sprachfami­lie herausbildete und sich weit entfernt von der austro­nesischen Urheimat ausbreitete, wobei zahlreiche lokale Sprachen entstanden, die alle eng miteinander verwandt sind, weil zuwenig Zeit verging, um große Unterschiede entstehen zu lassen. Die geographische Heimat der au­stronesischen Sprachfamilie sollte deshalb nicht im Ver­breitungsgebiet der malaiopolynesischen, sondern der drei anderen austronesischen Untergruppen gesucht wer­den, die sich weit stärker voneinander und vom Mala­iopolynesischen unterscheiden, als dies bei den Unter-Untergruppen des Malaiopolynesischen untereinander der Fall ist.
    Bemerkenswerterweise haben die drei anderen Un­tergruppen fast genau das gleiche Verbreitungsgebiet, das noch dazu verglichen mit dem der malaiopolyne­sischen Untergruppe winzig klein ist. Alle drei werden ausschließlich von Ureinwohnern Taiwans gesprochen, einer nur etwa 150 Kilometer vor der Küste Südchinas gelegenen Insel. Die Ur-Taiwanesen hatten ihre Insel weitgehend für sich, bis Chinesen vom Festland inner­halb der letzten tausend Jahre in großer Zahl überzusie­deln begannen. Nach 1945 und besonders nach dem Sieg der Kommunisten über Chiang Kaisheks Nationalisten schwoll der Strom weiter an, was inzwischen dazu ge­führt hat, daß die Ureinwohner nur noch eine Minder­heit von zwei Prozent der Bevölkerung bilden. Das ge­häufte Vorkommen von drei der vier Untergruppen der austronesischen Sprachfamilie in Taiwan läßt vermuten, daß die Insel die gesuchte Urheimat ist, in der austro­nesische Sprachen am längsten gesprochen wurden und folglich am meisten Zeit zur Differenzierung hatten. Alle anderen austronesischen Sprachen, von denen Madagas­kars bis hin zu den Sprachen der Osterinsulaner, wären demnach auf eine Bevölkerungsexpansion zurückzufüh­ren, deren Ursprungsort auf Taiwan lag.
    Schauen wir nun, welche Erkenntnisse die Archäologie für uns bereithält. In den Überresten vorgeschichtlicher Dörfer findet man zwar neben Knochen und Töpfer­waren keine versteinerten Wörter, sie geben aber den­noch Auskunft über Bewegungen von Völkern und kul­turellen Artefakten, die mit Sprachen im Zusammen­hang stehen könnten. Wie die übrige Welt war auch der größte Teil des heutigen austronesischen Sprachraums – Taiwan, Philippinen, Indonesien und zahlreiche Pa­zifikinseln – ursprünglich von Jägern und Sammlern bevölkert, die weder Töpferwaren noch geschliffene Steinwerkzeuge, Haustiere oder Anbaupflanzen kann­ten. (Ausnahmen bildeten lediglich Madagaskar, der östliche Teil Melanesiens, Polynesien und Mikronesien, wohin Jäger und Sammler niemals vordrangen und die erst nach Beginn der austronesischen Expansion von Menschen in Besitz genommen wurden.) Die ersten ar­chäologischen Hinweise auf Veränderungen innerhalb »Austronesiens« kommen aus – Taiwan. Etwa ab dem 4. Jahrtausend v. Chr. tauchte ein unverwechselbarer Ke­ramikstil, der als Ta­p’en­k’eng bezeichnet wird und auf einen älteren Stil des südchinesischen Festlands zu­rückgeht, auf Taiwan und an der gegenüberliegenden Küste Südchinas auf. Überreste von Reis und Hirse, die an etwas jüngeren Fundstätten auf Taiwan zum Vor­schein kamen, deuten darauf hin, daß Landwirtschaft betrieben wurde.
    Die Ta­p’en­k’eng-Fundstätten auf Taiwan und an der südchinesischen Küste sind übersät mit Fischgräten und Schalen von Weichtieren sowie steinernen Netzgewich­ten und Dechseln zum Aushöhlen von Kanus. Offenbar besaßen jene ersten neolithischen Bewohner Taiwans Boote, die zum Fischfang auf hoher See und zur regel­mäßigen Überquerung der Formosastraße zwischen Tai­wan und dem Festland taugten. Vielleicht war die For­mosastraße das Übungsrevier, in dem Festlandchinesen die nautischen Fähigkeiten erwarben, die ihnen später die Eroberung des Pazifiks ermöglichen sollten.
    Eine spezielle Sorte von Artefakten, die ein Binde­glied zwischen Taiwans Ta­p’en­k’eng-Kultur und spä­teren Kulturen der pazifischen Inselwelt darstellt, ist der Rindenklopfer, ein Gerät aus Stein zum Zerdrücken der faserigen Rinde bestimmter Baumarten, um daraus Taue, Netze und Kleidung herzustellen. Nachdem die Pazifickolonisten das Verbreitungsgebiet von Faserpflanzen und

Weitere Kostenlose Bücher