Arm und Reich
austronesischer Sprachen auf der Malaiischen Halbinsel und in kleinen Gebieten in Vietnam und Kambodscha nahe den westlichsten indonesischen Inseln Sumatra und Borneo; daneben werden sie auf dem Festland jedoch nirgendwo gesprochen (siehe Abbildung 16.1). Eine Reihe austronesischer Wörter hat Eingang in europäische Sprachen gefunden, zum Beispiel »Tabu« und »Tattoo« (aus einer polynesischen Sprache) und »Amok«, »Batik« und »Orang-Utan« (aus dem Malaiischen).
Die genetische und sprachliche Uniformität Indonesiens und der Philippinen ist zunächst ebenso überraschend wie die weitgehende sprachliche Uniformität Chinas. Der berühmte javanische Homo erectus beweist, daß zumindest der westliche Teil Indonesiens seit einer Million Jahren von Menschen bewohnt ist. Diese lange Zeitspanne sollte den Bewohnern genügt haben, um sich genetisch und sprachlich zu differenzieren und sich an die tropischen Bedingungen anzupassen, doch statt dessen sind Indonesier und Filipinos hellhäutig.
Überraschend ist auch, daß Indonesier und Filipinos neben ihrer Hellhäutigkeit und genetischen Verwandtschaft mit Südostasiaten und Südchinesen diesen noch in anderer Hinsicht physisch stark ähneln. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, daß Indonesien die einzige mögli che Route darstellte, über die Menschen vor 40 000 Jahren nach Neuguinea und Australien gelangen konnten, so daß man eigentlich eine Ähnlichkeit der modernen Indonesier mit den modernen Neuguineern und Australiern erwartet hätte. In Wirklichkeit gibt es aber nur wenige Populationen auf den Philippinen und im westlichen Indonesien, die Ähnlichkeit mit den Bewohnern Neuguineas haben; hierzu zählen insbesondere die philippinischen Negritos, die in abgelegenen Bergregionen leben. Bei ihnen könnte es sich – wie bei den drei anderen in Kapitel 15 erwähnten Populationen, die Ähnlichkeiten mit den Neuguineern aufweisen – um Überreste der Vorfahren von Wiwors Volk aus der Zeit vor der Besiedlung Neuguineas handeln. Selbst diese Negritos sprechen austronesische Sprachen, die denen ihrer philippinischen Nachbarn ähneln, was vermuten läßt, daß auch ihnen (wie den Semang in Malaysia und den Pygmäen in Afrika) ihre ursprüngliche Sprache abhanden kam.
Abbildung 16.1 Die austronesische Sprachfamilie besteht aus vier Untergruppen, von denen drei auf Taiwan beschränkt sind und eine (die malaiopolynesische) ein sehr großes Verbreitungsgebiet hat. Die malaiopolynesische Untergruppe besteht ihrerseits aus zwei Unter-Untergruppen, den westlichen (W M–P) und den östlichen (Ö M–P) malaiopolynesischen Sprachen. Letztere werden in vier Unter-Unter-Untergruppen eingeteilt, die sehr weit verbreitete ozeanische im Osten und drei weitere im Westen mit einem wesentlich kleineren Verbreitungsgebiet, bestehend aus Halmahera, nahe gelegenen ostindonesischen Inseln und der Westseite von Neuguinea .
Das alles spricht dafür, daß Indonesien und die Philippinen in jüngerer Vergangenheit entweder von südostasiatischen oder südchinesischen Sprechern austronesischer Sprachen besiedelt wurden. Dabei mußten die vorherigen Bewohner mit Ausnahme der philippinischen Negritos weichen – und ihre Sprachen mit ihnen. Dieses Geschehen liegt offenbar nicht weit genug in der Vergangenheit, daß die Neuankömmlinge genug Zeit gehabt hätten, um dunkelhäutig zu werden und eigene Sprachfamilien oder gar charakteristische genetische Merkmale zu entwickeln oder sich genetisch zu differenzieren. Zwar ist die Zahl ihrer Sprachen im Vergleich zu den acht vorherrschenden Sprachen des chinesischen Festlands gewaltig, sie unterscheiden sich jedoch wie diese nicht sehr stark voneinander. Daß auf den Philippinen und in Indonesien so zahlreiche ähnliche Sprachen entstehen konnten, zeugt lediglich davon, daß die Inseln im Gegensatz zu China nie eine politische und kulturelle Einigung erfuhren.
Die Verbreitungsgebiete der verschiedenen Sprachen geben interessante Hinweise auf den geographischen Verlauf der vermuteten austronesischen Expansion. Insgesamt gehören zur austronesischen Sprachfamilie 959 Sprachen, die in vier Untergruppen eingeteilt werden. Eine davon, die malaiopolynesische, umfaßt bereits 945 der 959 Sprachen und erstreckt sich geographisch über fast das gesamte Verbreitungsgebiet der austronesischen Sprachfamilie. Bevor europäische Sprecher indogermanischer Sprachen vor wenigen Jahrhunderten nach
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