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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Haustieren, die Wolle lieferten, hinter sich gelassen hat­ten, mußten sie sich mit Kleidung aus Baumrinde be­helfen. Bewohner von Rennell, einer polynesischen In­sel, auf der westliche Sitten und Errungenschaften erst in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts Einzug hielten, erzählten mir von einer wunderbaren Nebenwirkung des Einbruchs der neuen Zeit: Endlich wurde es ruhig auf der Insel. Der Lärm der Rindenklopfer, der bis dahin täglich vom Morgengrauen bis nach Einbruch der Dun­kelheit über der Insel gelegen hatte, verstummte!
    Archäologische Indizien zeigen, daß innerhalb von rund tausend Jahren nach dem Eintreffen der Ta­p’en­k’eng-Kultur auf Taiwan Kulturen, bei denen es sich of­fensichtlich um deren Ableger handelte, von Taiwan aus immer weiter vordrangen und damit begannen, den heu­tigen austronesischen Sprachraum zu besiedeln (Abbil­dung 16.2). Zu diesen Indizien zählen geschliffene Stein­werkzeuge, Töpferwaren, Knochen von Hausschweinen und Überreste von Nutzpflanzen. So wich beispielswei­se die verzierte Ta­p’en­k’eng-Keramik auf Taiwan einer unverzierten roten Keramik, die auch an Fundstätten auf den Philippinen und auf den indonesischen Inseln Celebes und Timor angetroffen wurde. Das »Kulturbün­del« aus Töpferei, Steinwerkzeugen und domestizierten Pflanzen und Tieren tauchte um 3000 v. Chr. auf den Philippinen, um 2500 v. Chr. auf den indonesischen In­seln Celebes, Borneo und Timor, um 2000 v. Chr. auf Java und Sumatra und um 1600 v. Chr. im Gebiet von Neuguinea auf. Wie wir sehen werden, gewann die Aus­breitung dort an Tempo, bis die Besitzer der genannten Errungenschaften schließlich in rasender Geschwindig­keit ostwärts in den bis dahin menschenleeren Pazifik jenseits der Salomoninseln vorstießen. Die letzten Pha­sen der Expansion im 1. Jahrtausend n. Chr. beinhalte­ten die Besiedlung sämtlicher polynesischer und mikro­nesischer Inseln, die für Menschen geeignete Lebensbe­dingungen aufwiesen. Überraschenderweise fegte die Ausbreitungswelle auch in westlicher Richtung über den Indischen Ozean hinweg bis zur Ostküste Afrikas, wo sie in der Besiedlung Madagaskars gipfelte.

    Abbildung 16.2 Verlauf der austronesischen Expansion mit ungefähren Zeitangaben. 4a = Borneo, 4b = Celebes, 4c = Timor (um 2500 v. Chr.), 5a = Halmahera (um 1600 v. Chr.), 5b =Java, 5c = Sumatra (um 2000 v. Chr.), 6a = Bismarckarchipel (um 1600 v. Chr.), 6b = Malaiische Halbinsel, 6c = Vietnam (um 1000 v. Chr.), 7 = Salomoninseln (um 1600 v. Chr.), 8 = Santa Cruz, 9c = Tonga, 9d = Neukaledonien (um 1200 v. Chr.), 10b = Gesellschaftsinseln, 10c = Cookinseln, IIa = Tuamotu-Archipel (um 1 n. Chr.) .
    Mindestens bis zu dem Zeitpunkt, als die austronesi­sche Expansion die Küsten Neuguineas erreichte, dien­ten vermutlich Doppelausleger-Segelkanus, wie sie noch heute in Indonesien weit verbreitet sind, als Verkehrs­mittel zwischen den Inseln. Dieser Bootstyp verkörper­te einen wichtigen Fortschritt gegenüber den schlich­ten Einbaumkanus, die bei Völkern mit traditioneller Lebensweise noch heute das vorherrschende Fortbewe­gungsmittel auf Binnengewässern darstellen. Ein Ein­baumkanu ist genau das, was der Name besagt: ein aus­gehöhlter, vorn und hinten mit der Dechsel bearbeiteter Baumstamm. Da das Kanu unten genauso rund ist wie der Baumstamm, aus dem es gemacht wurde, kippte es schon beim kleinsten Ungleichgewicht seitwärts. Jedes­mal, wenn ich mit Neuguineern im Einbaum auf neu­guineischen Flüssen unterwegs war, verbrachte ich den größten Teil der Fahrt in heller Angst: Es schien immer, als könnte die kleinste meiner Bewegungen das Kanu zum Kentern bringen und mich und mein Fernglas der Gesellschaft der Krokodile ausliefern. Neuguineer voll­bringen irgendwie das Kunststück, ihre Einbäume sicher über ruhige Seen und Flüsse zu paddeln, doch nicht ein­mal ihnen gelingt es, einen Einbaum auf offenem Meer zu steuern, auch bei schwachem Seegang nicht. Deshalb mußte eine Möglichkeit zur Stabilisierung von Kanus gefunden werden – nicht nur, damit die austronesische Expansion den Weg über Indonesien nehmen konnte, sondern schon als Voraussetzung für die ursprüngliche Besiedlung Taiwans.
    Die Lösung bestand darin, zwei kleinere Baumstäm­me (»Ausleger«) parallel zum Rumpf an beiden Seiten mit Hilfe von Querstäben zu befestigen. Immer wenn sich der Rumpf nach einer Seite zu legen begann, sorg­te der Auftrieb des Auslegers auf der betreffenden Seite dafür, daß

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