Arm und Reich
Nord-Neuguinea zeugen von einem lange währenden Kontakt zwischen den austronesischen Eindringlingen und den Papua-Sprechern, die schon vor ihnen da waren. Sowohl die austronesischen als auch die Papua-Sprachen der Region lassen in Wortschatz und Grammatik starke Einflüsse der jeweils anderen Sprachen erkennen, so daß in manchen Fällen kaum zu entscheiden ist, ob man es mit von Papua-Sprachen beeinflußten austronesischen Sprachen oder umgekehrt mit von austronesischen Sprachen beeinflußten Papua-Sprachen zu tun hat. Bei Reisen entlang der Nordküste Neuguineas oder auf den kleineren Inseln, die vor der Küste liegen, passiert man abwechselnd Dörfer, in denen austronesische oder Papua-Sprachen gesprochen werden, ohne daß mit den sprachlichen Grenzen auch Unterschiede im Aussehen der Bewohner einhergingen.
Das alles deutet darauf hin, daß die Nachfahren der austronesischen Neuankömmlinge und der ursprünglichen Neuguineer an der neuguineischen Nordküste und auf den vorgelagerten Inseln seit Jahrtausenden miteinander Handel trieben, Mischehen schlossen und Gene und Sprachen austauschten. Während dieser langen Zeit des Miteinanders wurden austronesische Sprachen offenbar erfolgreicher übertragen als austronesische Gene, mit dem Ergebnis, daß die meisten Bewohner des Bismarckarchipels und der Salomoninseln heute austronesische Sprachen sprechen, obwohl sie vom Aussehen und von den Genen her immer noch überwiegend Papuas sind. Tief im Inneren Neuguineas konnten sich indessen weder Gene noch Sprachen der Austronesier durchsetzen. Das Ergebnis ihrer Invasion unterschied sich somit kraß von dem, was sich auf Borneo, Celebes und anderen großen indonesischen Inseln abspielte, die von der austronesischen Dampfwalze überrollt wurden und deren frühere Bewohner kaum genetische oder sprachliche Spuren hinterließen. Um zu verstehen, was auf Neuguinea geschah, wollen wir unseren Blick nun wieder archäologischen Erkenntnissen zuwenden.
Um 1600 v. Chr. tauchten die typischen archäologischen Spuren der austronesischen Expansion – Schweine, Hühner, Hunde, Keramik mit rötlichem Tonschlicker und Dechseln aus geschliffenem Stein und Muschelschalen – in der Region um Neuguinea auf, fast zeitgleich mit ihrem Erscheinen auf Halmahera. Zwei Merkmale aber unterscheiden ihre Ankunft dort von ihrem Eintreffen auf den Philippinen und in Indonesien.
Das erste Merkmal betrifft den Stil ihrer Keramik, der, obgleich rein ästhetischer Natur und ohne wirtschaftliche Bedeutung, dem Archäologen sofort verrät, ob es sich um eine frühe austronesische Siedlung handelt. Im Gegensatz zum größten Teil der frühen austronesischen Keramik auf den Philippinen und in Indonesien, die ohne Verzierungen war, wiesen die in der Region von Neuguinea gefundenen Gegenstände feine, in horizontalen Streifen angeordnete geometrische Muster auf. Andere Merkmale, wie etwa die Form der Gefäße und der rötliche Tonschlicker, glichen dem Stil jener älteren Keramik aus Indonesien. Anscheinend kam den austronesischen Siedlern erst in der Region von Neuguinea die Idee, Gefäße zu »tätowieren«; die Anregung dazu mag von Körpertätowierungen und geometrischen Mustern gestammt haben, mit denen sie ihre Kleidung aus Baumrinde schon früher verziert hatten. Nach der ersten archäologischen Fundstätte wird dieser Stil als Lapita-Keramik bezeichnet.
Ein wesentlich bedeutsamerer Unterschied der frühen austronesischen Siedlungen in der neuguineischen Region betrifft ihre Verbreitung. Anders als auf den Philippinen und in Indonesien, wo selbst die ältesten bekannten Siedlungen von Austronesiern auf großen Inseln wie Luzon, Borneo und Celebes gefunden wurden, entdeckt man Orte mit Lapita-Keramik in der Region von Neuguinea praktisch nur auf kleinen Eilanden vor der Küste größerer, abgelegener Inseln. Bis heute kam Lapita-Keramik nur an einem einzigen Ort (Aitape) an der Nordküste von Neuguinea selbst sowie an einigen Stellen auf den Salomoninseln zum Vorschein. Die meisten Lapita-Fundstätten in der Region um Neuguinea befinden sich im Bismarckarchipel und dort auf kleinen Eilanden vor der Küste der größeren Bismarckinseln; vereinzelt liegen sie auch an der Küste der größeren Inseln selbst. Da die Hersteller der Lapita-Keramik (wie wir sehen werden) Seefahrer waren, die Tausende von Meilen übers Meer zurückzulegen vermochten, ist der Grund dafür, daß sie ihre Dörfer
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