Arm und Reich
vorwiegend von kleinen Eilanden im Bismarckarchipel stammen. Erst um die Zeitwende tauchten vom Lapita-Stil beeinflußte Töpferwaren an der Südseite der großen Halbinsel im Südosten Neuguineas auf. Als Europäer gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit der Erforschung Neuguineas begannen, war die gesamte übrige neuguineische Südküste immer noch ausschließlich von Papua-Sprechern bewohnt, obgleich Austronesisch sprechende Populationen nicht nur auf der südöstlichen Halbinsel, sondern auch auf den Inseln Aru und Kei (etwa 120 Kilometer vor der Südküste von West-Neuguinea) anzutreffen waren. Austronesier hatten somit Tausende von Jahren Zeit, um das Inselinnere und die Südküste Neuguineas von nahen Stützpunkten aus zu kolonisieren, taten es aber nicht. Selbst die Kolonisierung des nördlichen Küstensaums war eher sprachlicher als genetischer Natur: Alle Völker der Nordküste blieben in genetischer Hinsicht überwiegend Neuguineer. Bestenfalls übernahmen einige von ihnen austronesische Sprachen, vielleicht, um sich mit den seefahrenden Händlern, die verschiedene Gesellschaften miteinander verbanden, verständigen zu können.
Demnach zeitigte die austronesische Expansion in der Region von Neuguinea ein völlig anderes Ergebnis als in Indonesien und auf den Philippinen. Während hier die vorherigen Bewohner verschwanden – vermutlich wurden sie vertrieben, umgebracht, mit Krankheiten infiziert oder von den Eindringlingen assimiliert –, hielt dort, also in der neuguineischen Region, die bereits ansässige Bevölkerung die Invasoren an den meisten Orten auf Distanz. In beiden Fällen waren die Eindringlinge Austronesier, und auch die ansässigen Bevölkerungen ähnelten sich genetisch, sofern meine Vermutung zutrifft, daß die von Austronesiern verdrängten ursprünglichen Bewohner Indonesiens Verwandte der Neuguineer waren. Worauf mag ein derart unterschiedlicher Ausgang zurückzuführen sein?
Die Antwort ist rasch gefunden, zieht man den unterschiedlichen kulturellen Entwicklungsstand der Urbevölkerungen Indonesiens und Neuguineas in Betracht. Vor der Ankunft der Austronesier war der größte Teil Indonesiens nur dünn besiedelt. Die dort lebenden Jäger und Sammler verfügten nicht einmal über geschliffene Steinwerkzeuge. Im Gegensatz dazu wurde im neuguineischen Hoch- und wahrscheinlich auch Tiefland sowie im Bismarck- und Salomonarchipel schon seit Jahrtausenden Landwirtschaft getrieben. Das Hochland von Neuguinea wies sogar eine der höchsten Bevölkerungsdichten auf, die in der jüngeren Vergangenheit irgendwo auf der Welt von einer steinzeitlichen Gesellschaft erreicht wurde.
Im Wettbewerb mit diesen angestammten neuguineischen Populationen besaßen die Austronesier wenige Vorteile. Einige der Kulturpflanzen der Austronesier, wie Taro, Jamswurzeln und Bananen, waren in Neuguinea vermutlich schon vor ihrer Ankunft eigenständig domestiziert worden. Bereitwillig integrierten die Neuguineer die von den Austronesiern mitgebrachten Hühner, Hunde und insbesondere auch Schweine in ihre Landwirtschaft. Geschliffene Steinwerkzeuge waren in Neuguinea schon lange in Gebrauch. Die Abwehrkräfte der Neuguineer gegen Tropenkrankheiten waren denen der Austronesier ebenbürtig, da sie den gleichen fünffachen genetischen Schutz gegen Malaria besaßen wie diese, wobei sich einige oder sogar alle beteiligten Gene unabhängig auf Neuguinea entwickelt hatten. Die Neuguineer waren bereits erfahrene Seefahrer, mag ihre Navigationskunst auch nicht an die der Lapita-Töpfer herangereicht haben. Zehntausende von Jahren vor der Ankunft der Austronesier kolonisierten sie den Bismarckarchipel und die Salomoninseln, und schon mindestens 18000 Jahre vor dem Auftauchen der Austronesier blühte im Bismarckarchipel der Handel mit Obsidian (einem vulkanischen Gesteinsglas, geeignet zur Herstellung scharfkantiger Werkzeuge). In jüngerer Vergangenheit drangen Neuguineer offenbar sogar gegen den Strom der Austronesier westwärts in den Osten Indonesiens vor, wo im Norden der Insel Halmahera und auf Timor typische Papua-Sprachen gesprochen werden, die mit einigen westneuguineischen Sprachen verwandt sind.
Kurzum, der unterschiedliche Ausgang der austronesischen Expansion veranschaulicht in großer Deutlichkeit die Rolle der Landwirtschaft bei Bevölkerungsverschiebungen. Bäuerliche Austronesier wanderten in zwei Regionen ein (Indonesien und Neuguinea),
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