Arm und Reich
weiter Landwirtschaft trieben und ein eigenes, auf Metallverarbeitung basierendes Reich errichteten. Ähnlich sahen sich die Punan, ebenfalls bäuerliche austronesische Emigranten aus Taiwan und Indonesien, in den Regenwäldern Borneos gezwungen, wieder als Jäger und Sammler zu leben, während ihre Verwandten auf Java, das mit fruchtbaren Vulkanböden gesegnet ist, der Landwirtschaft treu blieben, ein von Indien beeinflußtes Königreich gründeten, die Schrift einführten und das prächtige buddhistische Monument von Borobudur bauten. Jener Zweig der Austronesier, der schließlich Polynesien besiedelte, geriet außer Reichweite der ostasiatischen Schrift und Metallverarbeitung, was zur Folge hatte, daß er metall- und schriftlos blieb. Indessen entwickelten sich die austronesischen Gesellschaften politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich in verschiedenen Lebensräumen höchst unterschiedlich. So waren die Besiedler Ostpolynesiens binnen tausend Jahren auf den Chathaminseln wieder zur Jagd- und Sammelwirtschaft zurückgekehrt, während sie auf Hawaii ein Staatsgebilde mit intensiver Landwirtschaft errichteten.
Als schließlich die Europäer eintrafen, waren sie aufgrund ihrer Überlegenheit im Bereich der Technik und auf anderen Gebieten in der Lage, den größten Teil Südostasiens und der pazifischen Inselwelt vorübergehend unter ihre Kolonialherrschaft zu bringen. Örtliche Krankheitserreger und die bäuerlichen Bewohner der Region hinderten die Europäer jedoch an den meisten Orten daran, sich in größerem Umfang als Siedler niederzulassen. Nur auf Neuseeland, Neukaledonien und Hawaii – den größten und entlegensten Inseln, deren Klima aufgrund der äquatorfernen Lage am ehesten dem gemäßigten Klima Europas entspricht – sind heute größere europäische Populationen ansässig. Im Unterschied zu Australien, Nord- und Südamerika sind Ostasien und die meisten Pazifikinseln somit weiter in der Hand der Völker, die schon vor der Ankunft der Europäer dort lebten.
KAPITEL 17
Kollision der Hemisphären
Die Geschichte Eurasiens und Amerikas im Vergleich
D ie größte Bevölkerungsverdrängung innerhalb der letzten 13 000 Jahre war jene im Gefolge der Kollision von Alter und Neuer Welt vor wenigen Jahrhunderten. Ihr dramatischster, entscheidendster Moment war der Sieg von Pizarros winziger Armee aus spanischen Abenteurern über den Inka-Herrscher Atahualpa, den absoluten Herrscher über den größten, wohlhabendsten, bevölkerungsreichsten und administrativ und technisch fortgeschrittensten Staat Amerikas. Atahualpas Gefangennahme symbolisiert die Eroberung Nord- und Südamerikas durch die Europäer, denn das gleiche Bündel unmittelbarer Faktoren, das zu der Eroberung führte, ermöglichte auch die Siege von Europäern über andere Zivilisationen der Neuen Welt. Wir wollen uns nun noch einmal der Kollision der Hemisphären zuwenden und dabei die seit Kapitel 2 gewonnenen Erkenntnisse anwenden. Die zu beantwortende Kernfrage lautet: Warum fuhren Europäer ins Land der Indianer und eroberten es, warum geschah nicht das Umgekehrte? Als Ausgangspunkt der Betrachtung soll ein Vergleich der eurasischen und indianischen Gesellschaften im Jahr 1492, dem Zeitpunkt der »Entdeckung« Amerikas durch Kolumbus, dienen.
Beginnen wir mit der Nahrungserzeugung, einem wichtigen Bestimmungsfaktor lokaler Bevölkerungsgröße und gesellschaftlicher Komplexität, die somit einen der eigentlichen Faktoren hinter dem Eroberungsgeschehen darstellt. Der auffallendste Unterschied zwischen amerikanischer und eurasischer Nahrungserzeugung zeigte sich in der Bedeutung großer domestizierter Säugetiere. In Kapitel 8 habe ich Ihnen die 13 Arten vorgestellt, die in Eurasien zu den wichtigsten Lieferanten von tierischem Eiweiß (Fleisch und Milch), Wolle, Häuten und Fellen, zum Haupttransportmittel für Personen und Güter, zum unverzichtbaren Mittel der Kriegführung und (als Zugtiere und Düngerlieferanten) zum wertvollen Helfer in der Landwirtschaft wurden. Bevor im Mittelalter Wasser- und Windmühlen die eurasischen Säugetiere ablösten, waren diese neben menschlicher Muskelkraft zudem wichtige Lieferanten von »industrieller« Energie, beispielsweise beim Drehen von Schleifsteinen und bei der Wasserförderung aus Brunnen. Demgegenüber besaßen Nord- und Südamerika nur eine einzige große domestizierte Säugetierart, das Lama/Alpaka, dessen
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