Arm und Reich
Mesoamerika, Südwesten der USA) zu keiner Zeit durch so intensive Handelsbeziehungen miteinander verbunden waren wie Europa mit Asien, von wo die Pest, die Grippe und vielleicht auch die Pocken nach Europa gelangten. So kam es, daß selbst Malaria und Gelbfieber, jene Infektionskrankheiten, die den Europäern bei der Kolonisierung der amerikanischen Tropen und speziell beim Bau des Panamakanals schwer zu schaffen machen sollten, keineswegs amerikanische Krankheiten waren, sondern von Mikroben aus tropischen Gegenden der Alten Welt hervorgerufen werden, die Europäer nach Amerika eingeschleppt hatten.
Weitere unmittelbare Faktoren, die neben Krankheitserregern bei der Eroberung Nord- und Südamerikas durch Europäer eine wichtige Rolle spielten, hängen mit dem technischen Entwicklungsstand zusammen. Sie waren letztlich das Resultat dessen, daß ökonomisch differenzierte, politisch zentralisierte Agrargesellschaften mit hoher Bevölkerungsdichte, die miteinander in Kontakt und in Konkurrenz standen, in Eurasien schon wesentlich länger existierten. Ich will fünf Bereiche der Technik herausgreifen, die mir wichtig erscheinen:
Erstens waren bis zum Jahr 1492 alle komplexen eurasischen Gesellschaften zur Verwendung von Metall – erst Kupfer, dann Bronze und schließlich Eisen – bei der Werkzeugherstellung übergegangen. Dagegen waren Stein, Holz und Knochen immer noch die wichtigsten Arbeitsmaterialien der indianischen Werkzeugmacher, wenn auch in den Anden und einigen anderen Regionen Nord- und Südamerikas Kupfer, Silber, Gold und Legierungen zu Schmuck verarbeitet wurden; bei der Werkzeugherstellung war Kupfer nur von lokaler Bedeutung.
Zweitens war die Militärtechnik in Eurasien viel weiter fortgeschritten als in Nord- und Südamerika. Europäer verfügten über stählerne Schwerter, Lanzen und Dolche, ergänzt durch kleinere Feuerwaffen und Artilleriegeschütze; hinzu kamen Stahlrüstungen und -helme oder Kettenpanzer. Die indianischen Krieger waren dagegen nur mit Knüppeln und Äxten aus Stein oder Holz (in den Anden gelegentlich auch aus Kupfer), Schleudern und Pfeil und Bogen bewaffnet; ihre leichten Rüstungen boten ihnen zudem viel schwächeren Schutz. Die indianischen Heere verfügten auch nicht über Tiere als Pendant zu Pferden, deren Nutzen im Gefecht und als schnelles Transportmittel den Europäern riesige Vorteile verschaffte, bis einige indianische Gesellschaften selbst Pferdebesitzer wurden.
Drittens besaßen eurasische Gesellschaften eine enorme Überlegenheit bei der Nutzung verschiedener Energiequellen als Antriebskraft für Maschinen. Der älteste Fortschritt auf diesem Gebiet war der Einsatz von Tieren – Kühen, Pferden, Eseln – als Zugtieren in der Landwirtschaft, zum Drehen von Rädern beim Kornmahlen, zur Wasserförderung aus Brunnen und zur Beoder Entwässerung von Feldern. Wasserräder tauchten erstmals in römischer Zeit auf und kamen im Mittelalter, zusammen mit Gezeiten- und Windmühlen, vielerorts in Gebrauch. Gepaart mit Mechanismen zur Kraft übertragung dienten Maschinen, die Wasser und Wind als Energiequellen nutzten, nicht nur zum Mahlen von Getreide und zur Förderung von Wasser, sondern sie fanden daneben unzählige andere »industrielle« Verwendungen, so bei der Zuckergewinnung, beim Betrieb von Gebläseöfen, bei der Zerkleinerung von Erzen, bei der Papierherstellung, beim Schleifen und Polieren von Steinen, beim Ölpressen, bei der Salzgewinnung, bei der Tuchherstellung und beim Holzsägen. Für gewöhnlich wird der Beginn der industriellen Revolution mit der Erfindung der Dampfmaschine im 18. Jahrhundert in England gleichgesetzt, doch in Wirklichkeit hatte eine industrielle Revolution auf der Grundlage von Wasser- und Windkraft in vielen Teilen Europas schon im Mittelalter begonnen. In Nord- und Südamerika verrichtete man 1492 dagegen all jene Tätigkeiten, für die man sich in Eurasien auf Tiere, Wasser- und Windkraft stützte, immer noch ausschließlich mit menschlicher Muskelkraft.
Lange bevor damit begonnen wurde, das Rad zur Kraftübertragung zu nutzen, war es in Eurasien schon zur Grundlage des Güter- und Personenverkehrs geworden, und zwar nicht nur in Form von Fuhrwerken, vor die Zugtiere gespannt wurden, sondern auch in Form der Schubkarre, die es ermöglichte, mit erheblich verringertem Kraftaufwand – wenngleich immer noch mit reiner Muskelkraft– schwere Gegenstände zu
Weitere Kostenlose Bücher