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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Reife durch Farben oder Gerüche zu signalisieren. Ein Tier auf Nahrungssuche pflückt und verschluckt die Frucht, läuft oder fliegt davon und speit die Samenkörner in größerer Entfernung vom Ort der Mutterpflanze aus oder schei­det sie mit dem Kot aus. Auf diese Weise können Samen Entfernungen von mehreren tausend Kilometern über­winden.
    Es mag überraschen, daß Pflanzensamen den Verdau­ungsprozeß in den Gedärmen unbeschadet überstehen, so daß sie nach ihrer Ausscheidung noch keimen. Wer es genau wissen will und nicht zu zimperlich ist, kann aber selbst die Probe machen. In vielen Fällen sind die Sa­men von Wildpflanzen sogar auf die Passage durch den tierischen Verdauungstrakt regelrecht angewiesen, um keimen zu können. Das gilt zum Beispiel für eine afri­kanische Melonenart, die so gut an ihren Platz auf dem Speiseplan des Erdferkels, einer hyänenartigen Kreatur, angepaßt ist, daß sie am häufigsten dort zu finden ist, wo Erdferkel ihren Kot hinterlassen.
    Nehmen wir als Beispiel dafür, wie sich manche Pflan­zen ihre »Mitfahrgelegenheit« beschaffen, einmal die Walderdbeere. Wenn Erdbeersamen noch zu jung zum Keimen sind, ist das Fruchtfleisch grün, sauer und hart. Sind die Samen endlich reif, hat sich auch die Beere ver­wandelt: Ihr Fruchtfleisch ist rot, süß und weich. Die Farbveränderung dient als Signal, das Vögel wie etwa Misteldrosseln anlockt, die dann die Beeren pflücken und mit ihnen davonfliegen, um die Samenkörner später wieder auszuspeien oder mit dem Kot auszuscheiden.
    Natürlich verfolgten die Erdbeeren nicht planvoll das Ziel, just in dem Moment, in dem ihre Samen reif und zum Ausstreuen bereit waren, Vögel anzulocken. Und natürlich ging es den Misteldrosseln auch nicht darum, Erdbeeren zu domestizieren. Die Evolution der Erdbeer­pflanzen erfolgte vielmehr durch natürliche Selektion. Je grüner und saurer die jungen Erdbeeren waren, de­sto weniger Samenkörner wurden von Vögeln vernich­tet, die vorzeitig Beeren pflückten; je süßer und roter die Erdbeeren am Ende waren, desto mehr wurden von Vögeln gepflückt, die damit auch die reifen Samenkör­ner verbreiteten.
    Zahllose andere Pflanzen besitzen ebenfalls Früchte, die an Verzehr und Verbreitung durch bestimmte Tier­arten angepaßt sind. Wie Erdbeeren an Vögel, so sind Eicheln an Eichhörnchen, Mangofrüchte an Fledermäu­se und einige Arten von Riedgräsern an Ameisen ange­paßt. Damit ist ein Teil unserer Definition der Pflanzendo­mestikation erfüllt, nämlich die genetische Veränderung einer Wildpflanze in der Weise, daß ihr Nutzen für Kon­sumenten erhöht wird. Niemand würde diesen evolu­tionären Prozeß jedoch ernsthaft als Domestikation be­zeichnen, da Vögel, Fledermäuse und andere tierische Konsumenten den zweiten Teil der Definition nicht er­füllen: Sie bauen Pflanzen nicht bewußt an. Ähnlich be­standen die unbewußten Anfangsphasen der Domesti­kation von Wildpflanzen durch Menschen darin, daß sich Pflanzen im Zuge ihrer Evolution so veränderten, daß Menschen dazu verleitet wurden, ihre Früchte zu essen und zu verbreiten, ohne die betreff enden Pflanzen zunächst jedoch bewußt anzubauen. Womöglich waren menschliche Latrinen, wie jene der Erdferkel, Versuchs­stätten der ersten unbewußten Pflanzenzüchter.
    Latrinen sind nur einer der vielen Orte, an denen die Samen von Wildpflanzen unabsichtlich ausgesät wur­den. Wenn wir eßbare Früchte von Wildpflanzen pflücken und heimtragen, fallen uns unterwegs oder zu Hau­se ein paar davon herunter. Manche verfaulen, während die in ihnen verborgenen Samen völlig unversehrt blei­ben, und landen ungegessen auf dem Müll. Von den verschiedenen Früchten, die wir verspeisen, haben etwa Erdbeeren so winzige Samenkörner, daß sie unweiger­lich verschluckt und beim Stuhlgang ausgeschieden werden; andere sind jedoch so groß, daß wir es vorzie­hen, sie auszuspucken. Unsere Spucknäpfe und Müll­kippen zählten deshalb neben den stillen Örtchen zu den ersten landwirtschaftlichen Versuchslabors.
    Unabhängig davon, in welchem dieser »Labors« die Samen im einzelnen landeten, stammten sie doch in der Regel von ganz bestimmten einzelnen Vertretern eßbarer Pflanzenarten – nämlich solchen, denen wir aus dem ei­nen oder anderen Grund den Vorzug gaben. Wer einmal Beeren gesammelt hat, weiß, daß man sich bestimmte Beeren beziehungsweise Sträucher oder Büsche ausguckt. Als die ersten Ackerbauern begannen, Samen bewußt

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